Ist natürlich quatsch, so zu pauschalieren. Ich bin noch jung (naja...), aber auch schon alt genug, um an der Schwelle zu leben. Ich habe die Schule noch komplett analog verbracht, das einzig Digitale war der Grundrechenarten-Taschenrechner und die Casio für 59,99 am Arm. D-Mark, nicht Euro. Die Bundespost hatte noch Beamte am Schalter stehen und das Telefon stand im Flur und wurde in der Reichweite durch die "Schnur" begrenzt. Wer mehr Bewegungsfreiraum beim telefonieren brauchte oder wollte, der durfte gerne eine längere Leitung dazumieten.
In der Berufschule dann die ersten Begegnungen mit der digitalen Welt. Computer. In der Firma auch, der Siemens PCD-2M war das Nonplusultra. Ebenso der Preis inklusive benötigter Software und einem Din A3-Matrixdrucker. 28.000 DM wurden dafür vom Konto genommen. Privat hielt der VC20 von Commodore Einzug. Noch ohne Datasette und am kleinen SW-Fernseher betrieben. Auch der Akkustikkoppler war noch in weiter Ferne.
Ähnlich sah es in der Innenstadt aus. Mein Lehrbetrieb, ein Papier-Großhandel, generierte einen Großteil des Umsatzes in der Innenstadt. Bei kleinen Händlern, die auf Vertrauensbasis beliefert wurden. Neben der Waage lag das lange, schwarze Buch. Darin standen die Namen der Belieferten, das Datum und die erhaltene Ware. Eine Rechnung gab es dann am Monatsende.
Die Arbeit war schwierig, als die Fußgängerzone kam. Die Kunden, meist stand der Inhaber noch hinter der Theke, erwartete trotzdem seine Belieferung spätestens eine Stunde nach der Bestellung. Was nie ein Problem darstellte, weil es ja mich gab. Den Lehrling. So hießen wir damals noch.
Damals. Das war in der Mitte der 80er Jahre. Als es noch Spaß machte, in der Innenstadt einzukaufen. Jeder kannte jeden, jeder kaufte bei jedem. Ehrenkodex. Bis dann die "Alten" sich zurückzogen. Die "Jungen" hatten keine Lust, den Laden weiter zu betreiben, sie waren studieren, es zog sie in die große Stadt. Meist war das München oder Hamburg. Weg. Keine Nachfolger. Manchmal wurden die Läden dann doch weitergegeben, meist mit dem "Erfolg", dass die Schließung doch irgendwann stattfand und niemand die alteingesessenen Geschäfte wollte. Es kam, was kommen musste: ein Haus fern der neuen Heimat mach Arbeit, also wird verkauft. Oft an Kapitalinhaber, die in den großen Städten heimisch waren und unsere Provinz als Schnäppchenmarkt ansahen. Die "Alten" waren froh, den Schuppen los zu sein, die Erben freuten sich über die Kapitalisierung. Alle waren glücklich, irgendwie.
Dass die Vielfalt auf der Strecke blieb, das hat niemanden interessiert. Das eigene Hemd war am nächsten. Ist es noch. Legitim, wenn auch schade.
Früher, also in den 80ern und 90ern, da hatten wir drei Feinkostgeschäfte. Nicht das, was sich heute eine "Internationale Lebensmittel"-Abteilung in den Discountern schimpf. WIRKLICHE Feinkost. Selbst hergestellte Salate, eigene Köche für das, was man heute Catering nennt. In Coburg war das am Judentor der "M. C. Mönch". Von der Fläche her der Größte, schon mit Selbstbedienungsabteil. Fische in allen Varianten, aber nicht immer. Was auch das Erlebnis mit ausmachte. Nicht alles war auch immer zu bekommen.
Dann der "Schaper" am Markt. Einer meiner Lieblingskunden. Bei jeder Lieferung von Zellglasbeuteln (die echten, die, die heute kaum noch zu bekommen sind), bekam ich gegen Quittung nicht nur die Lieferung bezahlt, sondern auch ein "Nascherle". Von der Frau oder dem Mann. Beide hatten immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen, die weißen Kittel nie auch nur von einem Staubkorn bedeckt. Handschuhe waren ebenso selbstverständlich wie der perfekte Umgang mit dem Kunden. Ach ja, die "Nascherle". Oft eine Praline aus dem Sortiment von Sarotti. Der "Sarotti-Mohr" über dem Eingangsbereich war, soweit ich weiß, der einzige in ganz Deutschland, der aus Neonröhren gefertigt und beleuchtet war. Nach der Schließung wurde er abgebaut und an einen Kunden übergeben, der den Wert -ideell wie auch reell- zu schätzen weiß. Die Stadt wurde durch die Schließung und die Abmontage viel ärmer, kälter. Heute ist in den ehemaligen Räumen ein Modeschmuck-Geschäft beheimatet.
Der dritte Feinkosthändler musste für die Verwirrung Ortsfremder herhalten. Der Spruch "In Coburg kann man vom Markt aus Berlin und die Nordsee sehen" konnte gut bewiesen werden. Die Nordsee befand sich in der Spitalgasse, einer der sieben Gassen, die vom Coburger Markt wegführen. Das Feinkosthaus "Berlin" hatte quer gegenüber, direkt am Markt, an der Abfahrt zur Ketschengasse, seine Heimat. Berlin und Schaper am Markt hatten in etwas die gleiche Größe, Schaper - soweit ich mich erinnern kann - den Schwerpunkt auf Naschereien, Berlin auf Salate und Dinge, die in einer Kühltheke aufbewahrt werden müssen. Und auf geröstete Ameisen in der Dose. Der Hype um Insekten war damals schon kein Thema. Es gab sie einfach und sie fanden Kunden.
Das Schönste an Weihnachten war für mich der Rundgang durch Coburg. Erst zum Großmann. Den heute noch produzierten "Coburger Saftschinken" einkaufen. Dosen mit in Scheiben eingekochten Schinken. Leider ging Großmann in Insolvenz, seit vielen Jahren wird Lizenzware verkauft. Dann weiter zum Berlin, Salate kaufen. Bei Schaper wurde der Nachtisch geordert, bei M. C. Mönche Baguette, Butter, Spirituosen. Wein-Oertel diente mit Wein - und es gibt ihn noch heute, Fisch-Kuper, ebenfalls noch gut im Geschäft, lieferte den Fisch und Heiligabend konnte kommen.
Heute drängen immer mehr disruptive Neumarken auf den Markt. Feinkost bringt der Versandhändler. Allein Bos ist das im Streckengeschäft, was früher die kleinen Feinkostler in Coburg waren.
Die jungen Menschen werden es nicht vermissen, weil sie es nur kennen. Ich aber, ich habe die analoge Welt des Handels gut kennengelernt und vermisse sie noch heute. Digital beliefert zu werden, das ist lange nicht das Gleiche, wie im Handel die Gerüche, die Geschmäcker zu erleben. Denn früher konnte man noch kosten und nicht auf Probe zuschicken lassen. Schade, ist so. Mit den Händlern gingen auch die Gesichter der Städte. Austauschbare Innenstädte, Märkte auf der grünen Wiese. Verschwunden für immer.
In der Berufschule dann die ersten Begegnungen mit der digitalen Welt. Computer. In der Firma auch, der Siemens PCD-2M war das Nonplusultra. Ebenso der Preis inklusive benötigter Software und einem Din A3-Matrixdrucker. 28.000 DM wurden dafür vom Konto genommen. Privat hielt der VC20 von Commodore Einzug. Noch ohne Datasette und am kleinen SW-Fernseher betrieben. Auch der Akkustikkoppler war noch in weiter Ferne.
Ähnlich sah es in der Innenstadt aus. Mein Lehrbetrieb, ein Papier-Großhandel, generierte einen Großteil des Umsatzes in der Innenstadt. Bei kleinen Händlern, die auf Vertrauensbasis beliefert wurden. Neben der Waage lag das lange, schwarze Buch. Darin standen die Namen der Belieferten, das Datum und die erhaltene Ware. Eine Rechnung gab es dann am Monatsende.
Die Arbeit war schwierig, als die Fußgängerzone kam. Die Kunden, meist stand der Inhaber noch hinter der Theke, erwartete trotzdem seine Belieferung spätestens eine Stunde nach der Bestellung. Was nie ein Problem darstellte, weil es ja mich gab. Den Lehrling. So hießen wir damals noch.
Damals. Das war in der Mitte der 80er Jahre. Als es noch Spaß machte, in der Innenstadt einzukaufen. Jeder kannte jeden, jeder kaufte bei jedem. Ehrenkodex. Bis dann die "Alten" sich zurückzogen. Die "Jungen" hatten keine Lust, den Laden weiter zu betreiben, sie waren studieren, es zog sie in die große Stadt. Meist war das München oder Hamburg. Weg. Keine Nachfolger. Manchmal wurden die Läden dann doch weitergegeben, meist mit dem "Erfolg", dass die Schließung doch irgendwann stattfand und niemand die alteingesessenen Geschäfte wollte. Es kam, was kommen musste: ein Haus fern der neuen Heimat mach Arbeit, also wird verkauft. Oft an Kapitalinhaber, die in den großen Städten heimisch waren und unsere Provinz als Schnäppchenmarkt ansahen. Die "Alten" waren froh, den Schuppen los zu sein, die Erben freuten sich über die Kapitalisierung. Alle waren glücklich, irgendwie.
Dass die Vielfalt auf der Strecke blieb, das hat niemanden interessiert. Das eigene Hemd war am nächsten. Ist es noch. Legitim, wenn auch schade.
Früher, also in den 80ern und 90ern, da hatten wir drei Feinkostgeschäfte. Nicht das, was sich heute eine "Internationale Lebensmittel"-Abteilung in den Discountern schimpf. WIRKLICHE Feinkost. Selbst hergestellte Salate, eigene Köche für das, was man heute Catering nennt. In Coburg war das am Judentor der "M. C. Mönch". Von der Fläche her der Größte, schon mit Selbstbedienungsabteil. Fische in allen Varianten, aber nicht immer. Was auch das Erlebnis mit ausmachte. Nicht alles war auch immer zu bekommen.
Dann der "Schaper" am Markt. Einer meiner Lieblingskunden. Bei jeder Lieferung von Zellglasbeuteln (die echten, die, die heute kaum noch zu bekommen sind), bekam ich gegen Quittung nicht nur die Lieferung bezahlt, sondern auch ein "Nascherle". Von der Frau oder dem Mann. Beide hatten immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen, die weißen Kittel nie auch nur von einem Staubkorn bedeckt. Handschuhe waren ebenso selbstverständlich wie der perfekte Umgang mit dem Kunden. Ach ja, die "Nascherle". Oft eine Praline aus dem Sortiment von Sarotti. Der "Sarotti-Mohr" über dem Eingangsbereich war, soweit ich weiß, der einzige in ganz Deutschland, der aus Neonröhren gefertigt und beleuchtet war. Nach der Schließung wurde er abgebaut und an einen Kunden übergeben, der den Wert -ideell wie auch reell- zu schätzen weiß. Die Stadt wurde durch die Schließung und die Abmontage viel ärmer, kälter. Heute ist in den ehemaligen Räumen ein Modeschmuck-Geschäft beheimatet.
Der dritte Feinkosthändler musste für die Verwirrung Ortsfremder herhalten. Der Spruch "In Coburg kann man vom Markt aus Berlin und die Nordsee sehen" konnte gut bewiesen werden. Die Nordsee befand sich in der Spitalgasse, einer der sieben Gassen, die vom Coburger Markt wegführen. Das Feinkosthaus "Berlin" hatte quer gegenüber, direkt am Markt, an der Abfahrt zur Ketschengasse, seine Heimat. Berlin und Schaper am Markt hatten in etwas die gleiche Größe, Schaper - soweit ich mich erinnern kann - den Schwerpunkt auf Naschereien, Berlin auf Salate und Dinge, die in einer Kühltheke aufbewahrt werden müssen. Und auf geröstete Ameisen in der Dose. Der Hype um Insekten war damals schon kein Thema. Es gab sie einfach und sie fanden Kunden.
Das Schönste an Weihnachten war für mich der Rundgang durch Coburg. Erst zum Großmann. Den heute noch produzierten "Coburger Saftschinken" einkaufen. Dosen mit in Scheiben eingekochten Schinken. Leider ging Großmann in Insolvenz, seit vielen Jahren wird Lizenzware verkauft. Dann weiter zum Berlin, Salate kaufen. Bei Schaper wurde der Nachtisch geordert, bei M. C. Mönche Baguette, Butter, Spirituosen. Wein-Oertel diente mit Wein - und es gibt ihn noch heute, Fisch-Kuper, ebenfalls noch gut im Geschäft, lieferte den Fisch und Heiligabend konnte kommen.
Heute drängen immer mehr disruptive Neumarken auf den Markt. Feinkost bringt der Versandhändler. Allein Bos ist das im Streckengeschäft, was früher die kleinen Feinkostler in Coburg waren.
Die jungen Menschen werden es nicht vermissen, weil sie es nur kennen. Ich aber, ich habe die analoge Welt des Handels gut kennengelernt und vermisse sie noch heute. Digital beliefert zu werden, das ist lange nicht das Gleiche, wie im Handel die Gerüche, die Geschmäcker zu erleben. Denn früher konnte man noch kosten und nicht auf Probe zuschicken lassen. Schade, ist so. Mit den Händlern gingen auch die Gesichter der Städte. Austauschbare Innenstädte, Märkte auf der grünen Wiese. Verschwunden für immer.
Kann ich eins zu eins für meine Heimatstadt übernehmen!
AntwortenLöschenIst traurig aber nicht zu ändern. Allerdings, wenn es keine
Änderungen gäbe würden wir wohl noch in Höhlen leben!
Ja, das stimmt schon. Obwohl so eine eigene Höhle manchmal auch den eigenen Reiz hätte. Und auf dem Feuer ein Mammut.
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