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Last order, sir!

Zuletzt in 1993 gehört in Schottland.

Aus meinem Leben verschwinden mit zunehmendem Alter immer mehr Lebewesen. Sei es durch Tod, sei es durch Krankheit, sei es durch Trennung. Schmerzen bereitet jeder Abschied, einer mehr, einer weniger. Ich bin wirklich gespannt, was mir dereinst als letzter Gedanke durch den Kopf geht. Ich kann mir gut vorstellen, dass das irgendein Blödsinn ist. Und dass ich mit einem Lächeln auf den Lippen abtrete - wegen diesem Blödsinn. Ich würde nur zu gerne diesen Moment bewusst erleben, auch im Bewusstsein, dass es der letzte Moment für mich ist.

Und ich wüsste zu gerne, wann ich zum letzten Mal einkaufen werde. Wann ich zum letzten Mal gesagt habe, dass ich einen Menschen liebe (Mai 2011 ist der aktuelle Stand), wann ich die letzte Flasche Wasser geöffnet habe, wann ich das letzte Mal die Treppe bewältigt habe, wann ich das letzte Mal geweint habe, wann ich den letzten Lacher gemacht habe. Ob uns das im Augenblick des Todes bewusst ist? Können wir uns im Fall der Fälle nur auf den Augenblick konzentrieren? Wer wird bei mir sein? Werde ich in der Gosse meinen Tod finden? Werde ich auf einer Party die Segel streichen? Werde ich das Gefühl haben, mein Leben gut bewältigt zu haben?

So viele Fragen und wahrscheinlich werde ich diese in der letzten Zehntelsekunde beantwortet bekommen. Und wahrscheinlich werde ich dann auch nicht mehr hier darüber schreiben können. Ich hoffe nur, dass mit dem Tod dann auch wirklich alles vorbei ist, dass wir Menschen nicht wirklich eine unsterbliche Seele besitzen, die wieder eine Hülle suchen muss. Das größte Geschenk für mich wäre, wenn einfach die Lichter ausgehen und alles Erlebte in der Vergangenheit bleibt.

Angst vor dem letzten Atemzug habe ich schon seit längerem keine mehr, dafür kann ich mich nun auch an kleinen Dingen im Leben erfreuen, hoffe, den Blick wieder für das Wesentliche gefunden zu haben. Für gefüllte Berliner Krapfen. Mit Hiffenmark und Kristallzucker drauf. Dies und ein oder zwei Sachen würde ich wirklich vermissen, wenn es nach dem Fahren aus diesem Körper weiter gehen muss.

Der Volksmund sagt: "In jedem Ende liegt eine neue Chance!". Will mal hoffen, dass das nicht für alles auf dieser Welt gilt.

Vielleicht bin ich wirklich ein wenig sonderbar, aber als damals M die Sache in der Küche zugestoßen ist, als ich noch an Gott oder eine übergeordnete Figur geglaubt habe; ein Wesen, dass uns beschützt, da habe ich gebetet, dass mir doch etwas Lebenszeit abgezogen wird, wenn sie nur wieder gesund wird oder gesund bleibt. Oder ich ihre Krankheit übernehmen kann. Sollte ein Deal werden mit dem Schöpfer, so er denn vorhanden ist. Blöd, so ein Mensch. Auch das würde ich dann wissen. Entweder es ist vorbei mit dem Bewusstsein oder ich bekomme die Erklärung, dass ich umsonst gehofft habe - oder dass es geklappt hat.

An Himmel und Hölle glaube ich nicht, darum denke ich, ich bin nur mir selbst gegenüber verantwortlich, wie viel Respekt ich den Menschen entgegenbringe. Ich hoffe, dass ich zum Großteil - und solange es mir bewusst war - die Menschen um mich herum gut behandelt habe. Eine Strafe erwarte ich nicht, wer sollte uns auch richten. Bewusst wurde mir in diesem Jahr, dass man nur sich selbst vertrauen kann, niemals einem anderen Menschen. Und trotzdem versuche ich, ein guter Mensch zu sein.

Was aber ist ein guter Mensch? Einer, der streng nach den Zehn Geboten lebt? Sogar Kirchenmenschen und strenggläubige umgehen die Regeln der Kirche nach belieben. Darf ich dabei an gebrochene Zöllibate, Mord unter dem Mantel der Inquisition, spezielles Bier und Speisen für die Fastenzeit (Maultaschen/Gottesbscheißerle) erinnern? Ist ein Mensch automatisch gut, wenn er in die Kirche geht, sich gebückt und demütig in die Reihe einfügt? Ist ein Mensch gut, wenn er beichtet, nur, um danach wieder eine Sünde zubegehen? Und kann man überhaupt Sünden nach dem Verständnis der Kirchen sühnen? Wer sollte die Macht haben, uns vor dem avisierten Fegefeuer zu bewahren, vor dem jüngsten Gericht, wenn wir die Gottesregeln überschritten haben? Sollten es die Menschen bewerkstelligen können, die sich hier auf der Erde diese Regeln nach belieben zurechtbiegen?

Und bin ich auch in den Augen der anderen Menschen ein guter Mensch, wenn ich mich selbst so sehe? Habe ich die gleichen Ansprüche an das "Gutsein" wie meine Mitmenschen? Wer entscheidet, ob ich gut oder böse war, wer sollte mich nach dem Tod bestrafen, wenn es da nichts mehr gibt? Und öffnen wir der Anarchie Tür und Tor, wenn wir beweisen können, dass es keine höheren Machten gibt? Brechen die Dämme, die uns bisher davon abhalten, den Nachbarn für seinen schöneren Kohlrabi zu erschlagen? Fallen wir dann wieder in das Mittelalter zurück? Und wie sehr unterscheiden wir uns überhaupt vom Mittelalter, sind wir nicht genauso roh, nur mit anderen Hilfsmitteln?

Irgendwann werde ich auf alle diese Fragen eine Antwort haben. Leider zu spät. Bis dahin weiß ich nur "42" ;-)

Kommentare

  1. Na hallo! Das klingt ja, als wärst du Ü80 (und irgendwie glaube ich das nicht). Der Ton gefällt mir gar nicht! (Oder ich versteh ihn nicht, denn mein Glas ist immer halb voll - und das hört sich an wie halb leer.)

    Ist alles wurscht. Leben, sich dran freuen und so leben, dass kein anderer durch mein Tun oder Lassen zu Schaden kommt. Wenn ich denn noch das eine oder andere Lächeln zaubern kann oder handfeste Hilfe bieten kann, ist alles gut.

    Meine Lebensmaxime ist natürlich diffiziler, aber das trifft es schon ganz gut. Dazu brauche ich keinen Gott und schon gleich gar keine Institution, die sich seiner bedient.

    Ein Post für die langen Kommentare (aber ganz sicher nicht hier):
    Vorlesung 1 - Was ist Sterben?
    Vorlesung 2 - Der menschliche Tod
    Vorlesung 3 - Ist Mensch sein automatisch human?
    Vorlesung 4 - Wie bewusst ist unser Bewusstsein?
    Vorlesung 5 - Wieviel Kirche braucht der Mensch? Und wozu?
    Vorlesung 6 - Welchen Rahmen braucht die Menschlichkeit?

    Reicht erst mal, oder?

    Gute Nacht! Grüße! N.

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  2. Na, immerhin bin ich nun schon 41 Jahre alt. ;-)

    Aber keine Angst, das sind ja keine morbiden Gedanken, einfach nur das, was sich wohl jeder schon mal gedacht hat. Wann geht es zuende - und wie? Auch wenn viele Menschen meinen, es wäre besser, es nicht zu erfahren - ich wüsste es schon gerne.

    Mittlerweile kann ich mich auch an den kleinen Dingen wieder freuen, und, wie ich schreibe, ich versuche ja, nicht allzu negativ aufzufallen. Alle anderen Fragen werde ich in der letzten Sekunde beantwortet bekommen. Na, schau mer mal!

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  3. Meine Klientel bewegt sich ja am Lebensende, die meisten sind auch schon Ü80 (deshalb der Vergleich). Was ich von denen gelernt habe: Lebe. Jetzt!
    Ich gehöre zu denen, die es nicht unbedingt wissen müssen, weil es für das Leben unwichtig ist, wie und wann man es beendet (bekommt). Selbst wenn ich es wüsste, würde es nichts verändern.

    I.)
    Was tust du, wenn du definitiv erfährst, dass du noch einen Tag zu leben hast? Du zeugst keinen Sohn mehr, du pflanzt keinen Baum und baust kein Haus. Du gibst deinem Kind auch nicht mehr die letzte berühmte Weisheit mit auf den Weg, du regelst deine Geschäfte nicht mehr. Du sitzt nur noch da und hast Angst - und gräbst die Welt um nach einem Fitzelchen Hoffnung. - Soweit die Variante für die "jungen" Leute.

    II.)
    Die etwas Älteren, die mit sich und ihrem Leben im Reinen sind, genießen jeden zusätzlichen Tag und freuen sich an ihrem Leben, an ihrer Umwelt und ertragen die Malessen, die damit verbunden sind, mit Würde und Gelassenheit. Denen ist es egal, wann und wie der Tod kommt (möglichst schnell und schmerzarm bitte).

    III.)
    Nicht ganz so häufig, kommt aber vor, sind dann die Leute, die morgens aufwachen mit den Worten: Ach, bin ich schon wieder aufgewacht, ich wollte doch nicht mehr.
    (Ist mir bisher aber nur bei den Ü95 passiert.)

    Grüße! N.

    PS: Oh je, was habe ich getan, das wird ja richtig anstrengend hier. ;)

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  4. Hallo Nelja, tja, wenn Du Dir die letzten Wochen und davor (die Zeit von diesem Februar bis ungefähr Anfang Oktober ausgenommen) anschaust, dann wirst Du sehen, dass ich durchaus lebe. Und zwar intensiv. Ich habe Freunde, ich gehe fast täglich aus (auch wenn es manchmal sehr, sehr schwer fällt), ab und zu - wenn es die Gesundheit zulässt - lade ich sogar Menschen zu mir in die Wohnung ein. Ich halte momentan eine Riesenwohnung gut in Schuss, genieße zwischendurch auch mal ein Bierchen auf dem Balkon, wenn sich die Sonne zeigt, trinke ein Weinchen in der Gegenwart von neuen Freunden und ich mag einen Tee im Café mit Freunden. Und ja, ich habe wirklich bis 2008 sehr intensiv gelebt, danach nicht mehr so sehr viel unternehmen können und war zwischendurch dem Ende näher als dem Leben.

    Auch heute noch habe ich an manchen Tagen zu kämpfen. Mit Schmerzen, mit der Psyche und mit den Umständen in meinem Leben. Aber - aufgeben gibt es nicht, ich kann mich anpassen.

    Und trotzdem möchte ich gerne meine letzte Sekunde wach und in vollem Bewusstein erleben. Nicht wie meine Oma, die kürzlich mit 100 Jahren starb, die letzten Tage nichts mehr mitbekam. Nicht wie mein Vater, der zwar noch lebt, aber in der letzten Stufe der Alzheimer-Demenz angekommen ist, dem wir das Daseinsfristen nur noch so angenehm wie möglich machen können.

    Und ja, meine Oma hat auch um die 95 Jahre herum öfter den Wunsch geäußert, dass sie eigentlich genug gelebt hat. Dass sie des Lebens müde wurde. Sie saß im Rollstuhl, war am Ende fast blind und taub. Und trotzdem hat sie sich immer über einen Besuch von uns Enkeln, Urenkeln und Ururenkeln freuen können. Aber, sie wollte auch einfach einschlafen. Was ihr verwehrt blieb.

    Ich wollte gerne an der Seite "der Frau" alt werden und dann entschlummern. Wie man sich die Lebensplanung halt so vorstellt. Oft kommt es anders. Das hält das Leben zwar spannend aber leider auch anstrengend.

    Und ich möchte trotzdem wissen, ob ich in der letzten Sekunde mit einem Lächeln auf den Lippen wegdriften kann. Mir ist es egal, ob es nachher, Morgen oder in 50 Jahren ist. Ich bin bereit, weil ich fast alles in Leben schon hatte. Die große und für mich einzige Liebe, ich war Chef, ich war Lebenspartner, ich habe viel gesehen, ich habe viele Freunde, ich habe Halt im Leben. Angst vor dem Tod habe ich keine. Manchmal eher vor dem Leben.

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