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Die heiligen Könige mit den drei Fragezeichen dahinter.

Wie ein paar der Leser wissen, habe ich vor Dekaden einmal den elterlichen Laden übernommen. Bisschen was mit Papier, bisschen was mit Verpackung, viel bisschen für die Möbelindustrie.

Ist irgendwann mal ganz gut gelaufen, man konnte leben. Gut. Sehr gut. Und auch leben lassen. Ebenfalls nicht ungut. Das war in den Zeiten so bis Mitte der 80er Jahre. Dann, so gegen Beginn der zweiten Hälfte des achten Jahrzehnts (also 86 bis 89), wurde das Geschäft zunehmend schwieriger.

Hauptgründe waren die Weggänge der alten Einkäufer, die wussten, wie der Hase läuft, die auf Qualität, schnelle Verfügbarkeit vor Ort und Lieferantentreue noch Wert legten. Wie überall im Zeitenlauf, wird der Mensch älter, zieht sich aus dem aktiven Geschäft zurück und wird ersetzt. Mit den Einkäufern gingen die Chefen, neue Generationen wurden herangeführt, eingeführt und mit Macht und Funktion betraut. Dabei waren oftmals Junioren - und auch Einkaufsleiter - welche nicht nur frisch von irgendwelchen Akademien kamen, sondern auch nur ein theoretisches Wissen mitbrachten. Und wie das bei neuen Besen so ist - die wollen gut kehren. Alles, was an Strukturen seit dem Kriegsende gewachsen war, wurde in Frage gestellt. Oftmals nicht auf die gesunde Art, so, dass die Lieferanten vor Ort Zeit gehabt hätten, sich zu orientieren und auf die neuen Wünsche einzustellen.

Von außen wurde der Druck mittels neu hinzugeholter Lieferanten erhöht. Zwar mit langen Lieferzeiten, teilweise Qualitäten, die uns von unseren Lieferanten niemals abgenommen worden wären, aber zu Preisen, die eben auf diese Umstände abgestellt wurden. So kam es also am Anfang oft vor, dass es hieß: "Herr Löffel sen., Sie sind raus aus dem Geschäft. Wir haben da im Ausland eine Firma gefunden, die kann das Gleiche wie Sie, aber vieeeeel billiger. Natürlich zur gleichen Qualität."

Am Anfang raufst du dir die Haare, fragst dich, wie das sein kann. Die haben doch auch Kosten, dazu die weiten Transportwege. Neben den schlauen Herren im Einkauf und den Junioren, die nur auf den Spaß (nicht alle, aber durch die Bank die, deren Firmen vom Markt verschwunden sind) nicht aber auf gute Ware bedacht waren, kamen auch die Kostensparer. Optimierer. Angefangen beim Lieferanten. Klar. Wo sonst. Unsere Produkte waren über Jahrzehnte erprobt, auch die Konkurrenten hatten die Artikel gleicher Hersteller von Rohware. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass die nicht die Billigsten, dafür aber die Besten waren. Und wir, als kleine Zulieferer, waren auch ein wenig stolz darauf, Maßarbeit zu guten Preisen und in der gewünschten Qualität und Präzision geliefert zu haben.

Nachdem also eigentlich an der Ware nicht zu schrauben war, ohne dass mit der Qualität auch die Haltbarkeit der Polstermöbel gelitten hätte, wurde versucht, die Zulieferer vor Ort zu erpressen. Nicht verhandeln, erpressen. "Kannst Du nicht zu dem Preis liefern wie Dein Mitbewerber aus Tschechien, dann bist Du raus aus dem Geschäft." OK, zähneknirschend wird die Marge gesenkt, die Lieferanten waren auch imstande, etwas vom Preisdruck aufzufangen. Hatte man dann im nächsten Jahr wieder versucht, den Preis etwas anzuheben - es ging ja irgendwann nicht nur an die Substanz, auch um das pure Überleben wurde verhandelt - wurde wieder ein neuer Dreh gefunden, eine neue Runde der Erpressung zu starten.

"Wenn Du nicht die Annonce in unserer Firmenzeitung schaltest, dann bist Du raus aus dem Geschäft." oder auch gerne genommen "Mach Bandenwerbung in unserem Fußballstadion!". Immer mit der Drohung, ansonsten aus dem Geschäft genommen zu werden. Aus eigentlich wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren, aber dafür persönlichen Gründen. Die ganze Branche hat dies so durchgezogen, ob dies immer mit dem Wissen der Geschäftsleitung passiert ist? Keine Ahnung, zumindest die Ahnung davon wird wohl da gewesen sein.

Weil aber die Cheffen ihre teuren Hobbys gerne bezahlen wollten, war irgendwann der Anspruch an die Geschäftskassen noch höher. Und mit den Hobbys meine ich nicht den Fußballkick oder die Singstunde oder der Gartenbau. Nein, da durften es schon auch Yachten sein, für die die - eigentlich fast insolvente - Firma die Fahrer hat umschulen lassen, um diese Schiffe (Boote waren das nicht mehr) über den Landweg zu transportieren. Oder die kleine Sammlung schicker Fahrzeuge aus Maranello. Oder die Pferdezucht der Tochter. Kein Problem, ich war da nie neidisch. Wenn es denn nachhaltig verdientes Geld gewesen war. Aber nicht auf dem Rücken der Angestellten und Lieferanten.

Die Qualitätskontrollen haben also die Anweisungen bekommen, auch mal die Kriterien herunter zu schrauben. Wer sich in den 90er Jahren Polstermöbel aus "deutscher" Produktion gekauft hat, der weiß ungefähr, was ich meine.

Nun war also das Kind in den Brunnen gefallen. Mit der Öffnung nach Osten (nicht die DDR) begann das große "Sparen". Erste Lieferanten hatten vom westeuropäischen Markt Schrottmaschinen gekauft, keine Erfahrung gehabt und an Rohware gekauft, was zwar die entsprechende Stärke der Ware hatte, aber lange nicht den Berstdruck. Sprich: die Widerstandskraft war nicht auf Jahrzehnte, sondern auf wenige Jahre ausgelegt. Laufrichtung? Hat doch keine interessiert, wenn es da zur Tütenbildung oder Faltenwurf kam? Kein Problem, man hatte ja so günstig gekauft, dass die Reklamationen locker mit drin waren. Dass aber der Kunde unter dem Firmennamen des Herstellers eigentlich eine bessere Qualität gewohnt war und verärgert über die gelieferte Ware, das hat erst mal niemanden interessiert. Der Zulieferant war ja dumm und klein, hatte keine Ahnung vom Weltgeschäft.

Aber die Wege sind klein und kurz, besonders dann, wenn die Kunden und Lieferanten in einem Umkreis von 30 Kilometern agieren. So geschah es denn, dass das eine oder andere Muster den Weg zu uns fand. Und nicht die Muster, die dem Einkauf mit Angeboten vorgelegt wurden, sondern die, die auf Anweisung zur Sparsamkeit die Q-Kontrolle passiert hatten. Während eine Pappe in 1,5 mm im Format 70 x 100 cm bei uns stramm an die Wand gelehnt worden konnte, hatte eine ebensolche aus der ausländischen Zulieferung (oder der "billigen" Konkurrenz aus weiter entfernten Orten in Deutschland) Haltungsnoten verdient, die der eines Puddings entsprachen. Was also heißt: diese Zuschnitte waren für die Möbelindustrie nur vordergründig geeignet.

Aber auch hier wieder: der Lieferant vor Ort mit den langen Jahren Erfahrung ist ja nur dumm und will sich eine goldene Nase verdienen. Leben und leben lassen? Schon. Aber die einen eben am herumkrebsen und die anderen in immer höheren Sphären. Auch Mahnungen aus den Abteilungen, die unsere Waren verarbeitet hatten in Richtung Einkauf, die fanden dort nur selten Gehör. Natürlich ist dies nicht in allen Firmen so gewesen, nicht in den Firmen, die heute noch am Markt Bestand haben, meist vom Inhaber geführt sind und nie eine Beraterfirma gesehen haben.

Was wurden nicht alles für tolle Rabatte erfunden, um uns weiter schröpfen zu können. Umsatzrabatt. Inventurrabatt. Sommerlochrabatt. Hallenbaurabatt. Messerabatt. Musterungsrabatt. Kein Scherz, jeden dieser Rabatte gab es (und wahrscheinlich gibt es diese noch) zu meiner aktiven Zeit.

Beliebt waren auch die "Verbandsrabatte". Irgendein schlauer Mensch war dann mal auf die Idee gekommen, dass es doch toll wäre, lieber an einen Einkaufsverband zu liefern, anstatt an viele kleine Möbelhäuser. Dafür natürlich mit einem hohen Rabatt und Zahlungszielen, die einem die Haare in dem Nacken aufstellten. Die wenigsten Stücke der Möbelbranche, die in einem Möbelhaus zur Ausstellung stehen, wurden auch von diesen Häusern bezahlt. Einfach mal nachfragen, warum man aus der Ausstellung keine Möbel mehr direkt kaufen kann. ;-)

Schaumlieferanten, Gestellbauer, Metaller, Transportfirmen - all diese Branchen wurden von den Möbelherstellern bis auf das Blut ausgepresst. Und war kein Lebenszeichen mehr vorhanden - der Nächste bitte. Nun war es aber nicht so, dass die Hersteller der Polstermöbel zu diesen Zeiten mit jährlich wachsenden Stückzahlen aufwarten konnten. Eher das Gegenteil war der Fall. Hatte man früher die Waren LKW-weise geordert und auch verbraucht, so hat es sich am Schluss nur noch um einzelne Paletten gehandelt. Natürlich weiterhin mit den Preisen wie zu den Großmengen, mit den Rabatten und den ganzen anderen Annehmlichkeiten, die ein Lieferant vor Ort leisten kann. Die großen Mengen mit minderwertiger Ware und oft zu nur einem wenig günstigeren Preis als hier vor Ort gingen an die Lieferanten, die auf den Markt drängten. Stückzahlen in brauchbarer Menge wurden dort geordert, kleine Mengen - besonders die dringenden Lieferungen, weil einer wieder vergessen hatte rechtzeitig zur ordern - die durfte der kleine Depp vor Ort leisten. Aber in einem Ton und einer Bestimmtheit, als wären da noch die Könige von früher am regieren. Dass nur noch kleine Lichter oben saßen, das hat niemand registriert in den schönen neuen Verwaltungen mit den verspiegelten Außenfassaden und den Luxusinnenausstattungen.

Der Mensch ist leidensfähig, was meine Lieferantenkollegen genauso wie ich zu spüren bekamen, wie auch lernfähig. So aber auch die Personalien in den Betrieben. Das Beispiel der schamlosen Bereicherung setzte sich nach unten fort. Wenn der Chef nur aus dem Betrieb zieht, aber nicht investiert - warum soll dann der ehemals sehr gut verdienende Polsterer im Akkord nun mit seinem vergleichsweise geringen Lohn zufrieden sein? Wo es ging wurde also versucht, ein Extra zu erhaschen.

Manche subtil, einige überhaupt nicht und ein paar sehr direkt und frech. Dass es an Weihnachten schon Usus war, dem letzten Deppen ein Weihnachtsgeschenk, meist in Form von Alkoholika, zu überreichen, war schon akzeptiert. Schließlich konnte auch ein schlecht gelaunter Polsterer vorgeben, mit der Qualität nicht zufrieden zu sein. Kam alles vor, dann wurde meist auch sehr offen gesagt, dass es am Weihnachtsgeschenk gelegen hat, weil vielleicht die Konkurrenz oder ein Lieferant aus einer anderen Branche großzügiger war.
Am schlimmsten war die Schikane durch Rampenpersonal. Kleine Götter. Sind die nicht. In der Regel eher sehr, sehr schlicht vom Gemüt, meist sehr unangenehme Charaktere. Aber sie haben es in der Hand, den Fahrer bei jeder Lieferung durch fadenscheinige Gründe stundenlang zu binden.

Eine Firma - dort wird das auch heute noch so durchexerziert - hat für alle Rampen nur einen Ablader. Der auch gleichzeitig für die Beschickung der Regale, die Eingangskontrolle und und und zuständig ist. Der kann das nicht leisten, wenn ab der frühen Öffnung bis zum Feierabend die LKW Schlange stehen und der Annahmebereich nicht größer ist als eine Doppelgarage. Wohlgemerkt: ich schreibe hier von einem der angesehensten und reichsten Unternehmen der Branche mit mehreren hundert Angestellten. Nur eben nicht in der Warenannahme.

Was also tun? Warten, bis man abgeladen wird? Schlecht beraten, denn der Ablader hat alles Mögliche zu tun. An guten Tagen grüßt er nicht zurück, an schlechten beschimpft er dich als Arsch, Lieferantendreckspack und weiteren Nettigkeiten. Das ist dort so, die Fahrer haben sich darum geschlagen, wer anliefern MUSS.

Eine Unterschrift unter dem Lieferschein bekam aber nicht der, der die Ware abgeladen hat. Selbst abgeladen! Sondern der, der diese auch in die Regale einsortiert hat. Was oft länger gedauert hat, die entsprechenden Stapel zu finden, als das Zeug herzustellen. Muss ich extra erwähnen, dass es ab und zu auch Schlägereien zwischen Lieferantenfahrern und Warenannehmern gab?

Dies alles war so von der Geschäftsleitung ausdrücklich gebilligt. Ausgenommen davon waren nur? Richtig - die billigen Zulieferer aus dem Ausland. Denn die konnten deutsch nur sprechen, bis es darum ging, zu kapieren, was man von ihnen wollte.

Warum wir das alles akzeptiert haben? Weil wir - auch unsere Mitbewerber - immer darauf gehofft haben, dass sich die Wirtschaft wiederholt, endlich der Lernprozess in Richtung "Made in Germany" einstellt und alles glimpflich abgeht.

Es ist aber nicht so, dass wir uns alles haben gefallen lassen. Im Lichtenfelser Landkreis gab es einen Menschen, der in der Qualitätssicherung ausgelagert war. Unbeliebt auch bei den Kollegen, aber mit entsprechender Macht ausgestattet. Und diese hat er auch gerne demonstriert. Komischerweise wurden wir dort weitgehend verschont, vielleicht auch, weil ich diesen Kunden selber beliefert habe. Keine Ahnung. War auch nicht wichtig, wichtig war, dass es reibungslos geklappt hat.

Bis ich an einem Tag nach Feierabend dorthin zitiert wurde. Auf der Fahrt gehen einen tausend Gedanken durch den Kopf. Damals noch ein guter Kunde, ordentliche Stückzahlen und eine gute Zahlungsmoral, wollte man den nicht verlieren. In den letzten Jahren dann wurde mehrmals Insolvenz angemeldet für diesen Betrieb.

Ich wurde also hereingebeten, Smalltalk, ein bisschen hiervon, davon, Brancheninternes ausgetauscht. Als es zur Sache ging. Nun, wir wären ja zum Hauptlieferanten aufgestiegen. Und damit hätten wir auch eine besondere Verantwortung. Und das würde doch sicher einen fetten Gewinn ausmachen, der mich dazu bewegen könnte, mir davon jedes Jahr mehrere Mietshäuser zu kaufen. Dass die Preise aber auch bei diesem Kunden nur minimal Gewinn abwarfen, war ihm wohl einfach entgangen. Nicht umsonst haben nur die, die gut bluten konnten, geliefert.

Naja, um weiter im Geschäft bleiben zu können, wäre es an der Zeit, ein neues System aufzubauen. Welches aber für uns keine Vorteile brachte, sondern der QS-Mensch wollte Umsatzbonus. Nein, nicht für die Firma. Für sich! Bar. Schwarz. Erst einmal die prinzipielle Sache, dass dies nicht in Frage kommt. Zweitens, wie kommt er auf die Idee, dass ich das mitmachen würde?

Meinen Standpunkt, dass man gerne an Weihnachten ein etwas größeres Paket schnüren könne und wir dafür die Steuern übernehmen, wurde verlacht. Nein, Bares. Und vorab eine Computeranlage für die Tochter, die nun zu studieren beginnt. Bitte mit Drucker, einem Monitor größer als die, die bei uns im Gebrauch waren und - natürlich - gekaufter und lizensierter Software. Unter anderem auch die damals beliebte Corel-Software im vierstelligen Bereich.

Da ich mich niemals vorher und nachher, auch zu diesem Zeitpunkt nicht, auf eine Bestechung eingelassen habe, war ab diesem Tag unser Engagement in dieser Firma passé. Ich habe damals lange überlegt, ob ich den Geschäftsschädiger seinem Chef melden würde. Ich habe dann die Finger davon gelassen, denn die Branche ist wie ein Dorf. Waren zwar alle in Konkurrenz untereinander, wenn es aber darum ging, einen Lieferanten fertig zu machen, da waren sich alle einig. Klar, zugegeben hat das nie jemand. Aber die Signale, die gesendet wurden in Gesprächen, die waren eindeutig.

Die Jahre gingen ins Land, die Geschäfte wurden weniger, die Kunden starben den Konjunkturtod und die Margen waren nicht nur am Boden, die waren negativ. Also Zeit zu sparen und nicht nur auf eine Erholung nach 2001 zu hoffen, als die Türme zu Boden gingen und das gute Amerikageschäft unserer Kunden auch quasi zum erliegen brachte. Und wo spart eine kleine und kleinste Firma wie die unsere es war an erster Stelle? Richtig, am Chef. Natürlich ging es mir nicht dreckig, aber man hat sich schon ein paar Ausgaben mehrmals überlegt. In Saus und Braus zu leben war eh nie möglich und auch so nicht vorgelebt. Die nächste Stufe war, Investitionen einfach einzufrieren. Für mich damals schon ungute Warnzeichen, Zeit, auf der Hut zu sein.

Eine Qualität wie die ausländischen Mitbewerber zu etablieren wurde schlicht abgelehnt, es mussten erstmals Kundenanfragen negativ beschieden werden, weil es in die Verlustzone gegangen wäre. Bei den Einkäufern entstand da wohl das Bild vom gierigen Lieferanten. Aber, vom drauflegen kann keine Firma existieren, die nicht Geld wäscht.

Die nächsten Schritte waren dann Personalabbau. Erst über eine Altersregelung, dann über die harte Linie. Die für mich schwersten Schritte und Tage, denn es war nicht nur Familie direkt betroffen, auch Menschen, die lange Jahre sehr treu zum Betrieb standen. Dass diese nicht mit Verständnis geglänzt haben und auch mir gegen über teils sehr unfair, verletzend und auch bösartig wurden, sei ihnen verziehen, das ist Vergangenheit.

Um mich herum haben quasi im Wochentakt Lieferanten geschlossen. Nicht nur unsere Hersteller haben teils Produkte nicht mehr liefern können, ganze Werke geschlossen oder verkauft; auch Zulieferer anderer Branchen für die Möbler gingen zugrunde und auch ein Mitbewerber hatte schon aufgegeben. Dessen Kundenkartei und Lagerware haben wir übernommen, aber auch da war über zwei Jahre dann ein Abbau an Kaufkraft wie nie zuvor zu spüren.

Von meinen damaligen Kunden, welche ich 2008 zuletzt beliefert habe, ist vielleicht noch ein Pool von 7 - 8 % am Markt. Der Rest hat geschlossen, ist in Insolvenz gegangen oder sonstwie vom Markt verschwunden. Und nicht nur die Möbler, was unser Hauptgeschäftsfeld war. Auch die vielen kleinen Firmen und Händler vor Ort sind still und leise gegangen.

Immer öfter musste ich mir die Frage stellen: Will ich durchhalten - und wie lange KANN ich noch durchhalten. Riskiere ich über die Zeit eine Insolvenz oder ziehe ich die Reißleine, komme in unruhiges Fahrwasser und schaue was passiert, behalte aber das Ruder in der Hand. Oder erholt sich das alles wieder und die "Zeiten werden auch wieder besser", wie mein Vater mich immer zum durchhalten aufforderte. Schließlich hatte ja "er den Betrieb aufgebaut". Dass ich aber seit ´85 im Prinzip die Firma immer vornan gestellt hatte, acht Jahre selbstständig mit dieser war und auch gerne gekämpft hatte, dass er die Jahre vorher schon faktisch nur noch auf dem Papier der Chef war, das hatte er verdrängt. Als ich 2001 die Firma übernommen habe, war es schon sehr spät. Nicht zu spät, aber doch schon fortgeschritten. Hätte alles gut gehen können, wären die Zahlen nicht in den Folgejahren um bis zu 70 % eingebrochen. Nun ja, es ist, wie es ist.

2008 im Januar waren die Zahlen für 2007 da. Zeit, zu überlegen, wie ich den Betrieb nun weiter führe. Auch Besuche bei den Hausbanken gehörten dazu, beim Steuerberater und - dazu habe ich mich hinreißen lassen - ein Berater kam in mein Haus. Nach einem Tag habe ich diesen jedoch mit einem Fußtritt (gedachterweise) wieder verabschiedet, da eine Kompetenz über das Kaffeetrinken und blödem daherlabern von Phrasen nicht gegeben war.

Zu dieser Zeit war ich schon längere Zeit schwer gesundheitlich angeschlagen. Schwindelanfälle, fast Stürze, Magenschmerzen, alles Symptome von Stress und Kummer, brachen durch. Aber, da war es noch an der Zeit, Chef zu sein. Vorne zu stehen und zu steuern. Rechts war der Kunde, links der Lieferant. Hinten stand das Personal und vorne die Banken. Also: Druck von allen Seiten. Aber, noch war ich Willens, das auch zu stemmen. Koste es, was es wolle. Der Körper sollte bezwungen werden, Versagen war keine Option und zu Hause hatte die Liebste einen neuen Job, der sie sehr in Anspruch nahm. Zeitlich als auch inhaltlich. Da war es für mich zu keinem Zeitpunkt möglich, sie zu belasten. Ich war in einem Käfig gefangen. Einem Käfig aus "Muss", "Funktionieren", "Versagen gibt es nicht" und "für alle da und stark sein". An Schlaf war kaum zu denken, alles hat wie in Watte verpackt stattgefunden. Ja, ich habe funktioniert, aber sonst nichts. Da war keine Lebensfreude da, kein Funken Hoffnung, einfach nur bitte, bitte, heute nicht noch ein schlechterer Tag als Gestern.

Zum Reden hatte ich da niemanden. Heute weiß ich, ich hätte die Ex nur anplaudern müssen. Aber, das ging nicht. Das war wie versperrt, zugeschlossen, der Schlüssel weg. Und jeden Tag habe ich darauf gehofft, dass sie mich endlich einmal fragen würde, was mit mir los sei. Heute erst ist mir bewusst, dass ich in dieser Zeit Unmengen an Gewicht zugenommen habe. Auch wenn ich zu Hause den einzigen Ort hatte, an dem ich mich sicher und geborgen gefühlt hatte, ich konnte nicht über all die Dinge sprechen, die mich belastet haben. Was wohl auch einer der Gründe war, aus denen ich mein Leben damals komplett an die Wand gefahren habe. Nun, ist so, kann ich nicht mehr ändern, nur immer wieder die Notbremse ziehen, wenn ich wieder dabei bin, mich seelisch zu sehr zu engagieren und aufzuarbeiten.

Nun ist es aber so, dass man auf ein Fass durchaus auch eine kleine Wölbung bringen kann, bevor es irgendwann überläuft.

Auch ich habe einen Anlass gebraucht, der intial war. Und das war ein Gespräch, welches ich im Februar geführt hatte. Eigentlich wollte ich bei einem unserer Kunden die Preise anheben. 1,5 % waren im Gespräch, wenn er ein Prozent akzeptieren würde, dann wäre ich wenigstens aus dem Verlust raus. Die Preise zugeschickt, immerhin handelte es sich um 4.800(!) idiotische Preise, die nur durch ein System zustande kamen, dass sich ein Affe in deren Registratur ausgedacht haben konnte.
Durch die Modulbauweise der Möbel konnte es also vorkommen, dass ein einzelnes Produkt bis zu 30 verschiedene Artikelnummern hatte. Und trotzdem lagen bei uns am Lager am Ende über 1.200 verschiedene Schablonen zur Fertigung. Für einen Kunden.

Zum vereinbarten Termin war also der Einkäufer im Haus nicht zu sprechen, was dazu führte, dass wir an diesem Abend ein Telefonat führten. Tenor: Preiserhöhung abgeleht, ohne sinnvolle Begründung, einfach - weil keine Lust darauf. Das war noch nicht der Tropfen. Dieser kam, als mir mitgeteilt wurde, dass man alle Preise vom Vorjahr wieder für das neue akzeptieren würde. Bis auf einen. Und wenn ich dieser Preissenkung nicht zustimmen würde, dann würde man sich einen neuen Lieferanten suchen. Wohlgemerkt, dass war der Laden mit dem einen Warenannehmer und den vielen Zusatzgratisleistungen. Heute ist mir klar, dass es dem Einkäufer nur darum ging, seine Macht zu demonstrieren.

Nach dem Gespräch hatte ich mir dann die Stückzahlen vorgenommen, die mir avisiert wurden. Wohlwissend, dass auch diese nicht erreicht werden würden. Und den gewünschten Zielpreis.
Nach einer dreiviertel Stunde am Telefon, an dem wir darüber leidenschaftlich und ausgiebig diskutiert hatten, wie die Preise zustande kommen; mir mein Leasingfahrzeug vorgeworfen wurde (Sie können sich doch auch einen Polo kaufen, wenn sie nicht genug verdienen, WIR wollen diesen Preis!) und auch das private Pferd meiner Schwester, welches sie seit 15 Jahren im Besitz hatte, ging es ans rechnen. Als ich fertig war, war ich mir sicher, dass dieser Mann, der in dieser dreiviertel Stunde seinem Betrieb richtig hohe Kosten gemacht hat, sich verrechnet haben musste. Nochmals kurz rückgerufen, Preiswunsch bestätigt. Und dann war mir klar, um was es ging. Wir hatten eine gute Stunde Zeit verbraucht, um über eine Summe von 12 Euro zu diskutieren. 12 Euro, die darüber entscheiden sollten, ob wir Lieferant bleiben oder nicht. 12 Euro Gesamtsumme für das GANZE Jahr. Nicht für ein Stück oder für eine Lieferung: für die gesamte Menge im ganzen Jahr. Weniger, als er seinem Betrieb in dieser Zeit gekostet hatte.

In der darauf folgenden Nacht reifte in mir der Entschluss, diesen Zirkus nicht mehr mitmachen zu wollen. Am nächsten Tag habe ich die Belegschaft informiert, mit zitternden Knien, ausgesetzt wütenden Blicken, verletztenden Sätzen, die mir entgegengeschleudert wurden. Und dem Gefühl, noch weiter funktionieren zu müssen.

Jeder der Angestellten hatte in der Folgezeit mindestens ein lukratives Jobangebot bekommen, entweder mit mehr Gehalt oder mehr Urlaub, alle wären besser gestellt gewesen als bei mir. Anerkannt wurde das nie. Ich blieb der Versager. Meine Ex hatte sogar drei Jahre lang das Gerücht geglaubt, ich sei in Insolvenz. Nicht einmal da hatte sie bei mir nachgefragt.

Nachdem ich dann den Betrieb fast umgehend gestoppt hatte, war ein großer Stein abgfallen. Dass die Zeit noch sehr schlimm werden würde, das wusste ich. Hätte ich gewusst WIE schlimm, dann bin ich mir heute nicht mehr sicher, wie ich die Sache durchgezogen hätte. Damals hätte ich wohl einen Suizid erwogen. Heute weiß ich, dass es mehr gibt als Geld, materielle Dinge. Gesundheit, so abgedroschen es klingt. wäre das höchste Gut. Leider kann man diese nicht ertauschen. Zeit ist wichtig. Ruhe für sich. Und die Freundschaft zu der handvoll Menschen, die übrig bleiben, wenn sie einen verloren geben. Die, denen nicht der Mensch wichtig war, die auf den Freikaffee und die Transport- und Einstellmöglichkeiten aus waren. Viele "Freundschaften" sind dabei auf der Strecke geblieben. Ich habe nun nicht mehr viel, aber, ich bin glücklich. Ohne Firma, ohne Pomp und Luxus und ohne Frau an meiner Seite. Ich bin stolz, alles soweit im Griff zu haben. Ich kann sagen, dass ich mich immer anständig verhalten habe gegenüber den Menschen, die noch etwas von mir zu bekommen hatten. Und ich bin stolz darauf, nicht die Insolvenz gewählt zu haben, sondern rechtzeitig den Nothalt zu wählen und zu retten, was zu retten ist. Im Nachhinein betrachtet, habe ich dann doch einiges intuitiv richtig gemacht.

Ach ja.... Ein kleines Ding noch. Der Kunde, mit dem ich am Telefon um den Preis feilschte, der sagte mir zum Abschluss ja, dass er mich nun wohl nicht mehr als Lieferanten berücksichtigen könne. Was mir aber zu diesem Zeitpunkt schon egal war, meine Entscheidung stand war im Raum. Gute drei Wochen nach diesem Telefonat bekam ich an einem Nachmittag einen Anruf. An der anderen Seite der Einkäufer recht ungehalten, im Begriff, mir zu erklären, dass er nur die Geschäftsbeziehung sofort beenden würde, würde ich nicht am nächsten Tag um 6.30 Uhr bei ihm im Büro stehen um Abbitte zu leisten und meine Aufträge für die nächsten Tage zu erbetteln.

Er hat an diesem Tag nach der Grußformal zum Eingang des Gespräches nur noch ein "OK, geht klar, dann lassen wir das eben...:" zu hören bekommen. Nach diesen Worten habe ich aufgelegt, kein auf Wiederhören oder sonstwas. Und war ab da für ihn nicht mehr zu erreichen. Ich kann gar nicht sagen, welche Genugtuung das für mich war. Und auch ein bisschen zur Versöhnung mit der Welt beigetragen hat.

Kommentare

  1. Ein sehr interessanter Einblick. Irgendwie vertraut, da nicht wirklich neu, aber dennoch autentisch und erschütternd.

    Danke dafür.

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    1. Tja, und das sind erst mal nur die Spitzen. Da ist unter dem Eisberg noch Sumpf. Später mal. Jetzt muss ich erst mal die Fehler ausbessern, das habe ich in einem Zug geschrieben und leider die falsche Taste gedrückt. Gibt aber Schlimmeres ;-)

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  2. Huch, wie lang. Toll! Ich hab leider nicht die Zeit im Moment aber ich les mir das noch durch, versprochen.

    LG brisy

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    1. Naja, so toll auch nicht. Denk mal an die Zeit und den Link, damit ich morgen zuhören kann :-)
      Gruß
      Holger

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  3. Das ist das, was die Wenigsten sehen - diesen Preiskampf, das krampfhafte Ringen ums Überleben (oft ja im Hintergrund noch mit Krediten, die bedient werden müssen). Eigentlich logisch, dass das den verantwortlichen Menschen auffrisst, jedenfalls wenn das nicht nur eine Phase, sondern der Dauerzustand ist. Viele sehen nur: Da ist einer Chef, dem gehts gut, der kann sagen, wo es langgeht. Dass die meisten das eben nur begrenzt können und dafür einen Berg Verantwortung tragen müssen, bleibt außen vor. Und es ist mit Sicherheit sehr bitter, den eigenen Betrieb aufgeben zu müssen, vor allem, wenn der "ererbte" Familienbetrieb ist.

    Das Traurige daran ist aber auch, dass gefühlt ja wieder mehr Menschen Handgemachtes, Regionales ect. haben wollen - nur gibt es eben aufgrund des oben Genannten nicht mehr viele Betriebe, die das leisten können, weil sie aufgeben mussten.

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    1. Wenn das Elend auch mal abzusehen ist, dann hält man sicher auch durch. Aber in meinem Fall war es so, dass die Branche eher noch härter in Preiskämpfe ginge. Und leider haben die Hersteller von ihren Gewinnen eben auch auf die von uns kleinen Zulieferern rückgeschlossen. Was aber nicht klappt, denn wir hatten ja nicht so viele Spielräume, um zu sparen. Eben auch, weil da JEDER mithelfen musste. Die Verantwortung trägt man gerne. Aber nicht, wenn man am Ende des Monats fragt, wofür man das gemacht hat.

      Und auch wenn der Betrieb mir von meinem Vater übergeben wurde - ich musste dafür bezahlen. Und nicht zu knapp. Mit ihm reden, die Raten den Gegebenheiten anzupassen? Keine Chance. Am Monatsanfang war er der erste mit der offenen Hand. Unschönse Szenen, obwohl ich da keinen Cent schuldig blieb. Und dann kamen über die Jahre noch ein paar Dinge dazu, über die ich nun gar nicht mehr nachdenken mag, ruhe er in Frieden.

      Wir hatten viele Laufkunden bei uns im Laden, aber auch da hat man zunehmend die Lust verloren. Waren im Internet nur Großpackungen unserer Artikel zu beziehen, hat man von uns als Großhändler(!) erwartet, Packungen zu öffnen, Service zu leisten und auch noch billiger zu sein.
      Beispiel: Kundin kommt, erzählt mir, dass sie drei Farben jeweils zu 25 Cent billiger im Internet gefunden hat. Triumpf. Nachfrage von mir, wie die das machen und umsonst liefern können? KLICK.... Ne, da habe ich 3,95 für den Versand bezahlt. So viel dazu.

      Gruß

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  4. Du hast das alles sehr lebendig und beeindruckend geschildert. Respekt! Es gibt da sicher viele Parallelen zu anderen Branchen. Es geht leider fast immer nur noch um und über den Preis.
    "Leben und leben lassen" zählt nicht mehr. Nur der persönliche Vorteil.

    Ich erlebe es täglich und in meiner Branche geht es um große Investitionen. Interessenten kommen zu uns. Statt "Guten Tag" oder "Hallo" gibt es bestenfalls ein: "Was ist letzte Preis?" Nicht alle. Aber immer mehr. Vermutlich nicht aufzuhalten.
    Aber von irgendwas muss man ja leben und man macht mit in diesem kranken Spiel.
    Sei froh, dass Du gerade noch die Reißleine gezogen hast. Hört sich leicht an. War es für Dich sicher nicht. Das ist mir bewusst. Daher nochmal: Respekt.

    Grüße aus Hessen
    individu

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    1. Hallo individu. Tja, zum Glück habe ich nie auf den Preis als Erstes geschaut. Sowohl beim Essen als auch bei den Anlagegütern achte ich eher auf Qualität und dann erst auf die Kaufsumme. Ich fahre gut damit, werde das auch nicht ändern. Auch, wenn es wirklich schwierig ist, heute noch Qualität zu finden. Vor Ort kaum noch, die Händler hier müssen sich dem Druck des Preisdiktates beugen. Und der kleine Käufer muss entweder länger sparen oder eben die Qualitätsabstriche akzeptieren. Schneller Konsum und das schnelle Geld in den führenden Etagen locken leider mehr. Nicht ganz unschuldig sind auch Großbetriebe, hinter denen niemand mehr steht, der sich mit dem Betrieb identifiziert. AGs habe ich da besonders im Blick. Rendite um jeden Preis, hohe Gewinne und trotzdem weiter einsparen.

      Alleine wenn ich den Handymarkt ansehe. Ich hatte früher gerne Siemens-Handys. Die Akkus toll, keine Abstürze, super stabil und gute Qualität. Aber zu einem manchmal etwas höherem Preis. Und? Das habe ich über die Laufzeit und den gesparten Ärger wieder hereingeholt. Gibt es nicht mehr. Jetzt? Nach gut eineinhalb Jahren Gebrauch ist mein Nokia-Teil am Ende. Der Akku hält kaum noch durch, Abstürze.... Aber - billig. In jedem Sinn.

      Nein. Leicht war die Entscheidung nicht. Aber ich musste mich entscheiden: romantisch zugrunde gehen oder die Zahlen sprechen lassen und den Kaufmann in den Vordergrund stellen. Leicht was das wirklich nicht. Aber für alle Beteiligten im Rückblick besser.
      Gruß
      Holger

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  5. Also, das ist wohl der längste Post der hiesigen Geschichte ..., nein, eher ein Paket ;-)

    Deine Geschichte belegt schön die These, dass wir uns selbst arm sparen in diesem Land, weil nur "billig" zählt. Die ganzen Kollateralschäden, wie Qualitätseinbußen, Niedriglöhne mit weniger Sozialabgaben und Steuern, dadurch mehr ALG- und Sozialhilfeempfänger, sieht keiner, weil er nur im Augenblick auf den eigenen Geldbeutel schaut.
    Huch, Sofa bald kaputt und Steuern werden erhöht, wie kommt das denn?

    Ich habe ähnliches als IT-Freelancer erlebt, da ging es einmal um "satte" 1,4% Nachlass, nur um den Einkäufer zufriedenzustellen, was er dann groß herausposaunt hat - die Verhandlungen und das Posaunen waren teurer als die Einsparung. Und umgangen haben wir sie auch, weil mein eigentlicher Auftraggeber aus der Abteilung meine Arbeitsqualität entsprechend ungekürzt entlohnen wollte.

    Der Einkäufer sieht den Stundensatz, den er einkauft und sagt "Soviel möchte ich auch verdienen", übersieht aber, dass er in einem warmen, sozialen Netz hängt und Umsatz wenig mit Verdienst zu tun hat. Oder will es nicht sehen. Ein Unternehmer kann ja schließlich alles von der Steuer absetzen. Arrogantia honoris causa aluminium est (würde der Iberer sagen).

    (Kleiner Hinweis für Einkäufer: Steuern kann man nur sparen, wenn man soviel verdient, dass man welche zahlen muss. Bei negativen Erträgen klappt das nicht.)

    Und dann gibt es noch die ausländische Konkurrenz, in der IT vorwiegend aus Indien. Bei angebotenen 15 (!) Euro Stundensatz hat man keine Argumente mehr, sei es Qualität oder Ortsnähe bei Beratung, auch, wenn man dann drei Berater braucht, statt vorher einem. Die zusätzlichen Kosten, die die Unternehmen durch dieses Offshoring haben, wie erhöhten Konzept- und Übernahmeaufwand, ständig wechselnde Offshore-Bearbeiter mit entsprechendem Know-How-Verlust, werden geflissentlich ignoriert. 15 Euro. Unschlagbar.

    Du sagst es: "Made in Germany" kommt so schnell nicht wieder, wenn wir nicht unsere eigene Einstellung ändern.

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    1. Hallo blogspargel, das Paket hätte sich locker zu einem Container auswachsen können, das kommt aber dann später mal. Auch die Kollateralschäden, Cheffen, die die Augen verschließen oder lieber im Elfenbeinturm sitzen, bis es zu spät ist, unfähige und betrügerische Einkaufsleiter und und und.

      Klar, die Preisgefüge sind doch über Jahrzehnte gesund gewachsen. Und wenn da nicht sanfte Eingriffe erfolgen, sondern massive Einschnitte (hohe Rabatte, die keiner auf der Rechnung hatte), dann ist schlichtweg schnell Ende. Da wird bewusst und vorsätzlich dem Lieferanten weh getan, um das eigene Ego zu stärken und vor dem Chef gut zu glänzen. Das wurde mir öfters unverhohlen auch so mitgeteilt. DAS ist krank.

      15 Euro. Dafür soll dann eine fundierte Ausbildung geleistet werden, der Verkaufende vor Ort springen und Männchen machen und bitte keine Abstriche an Qualität und Leistung bieten. Komischerweise wird aber der in die Höhe gehoben, der mit Preisen wie von Dir angesprochen in diese Segmente einbricht. WIE diese zustande kommen, interessiert niemanden. Hier wird die Verantwortung an den Vorleister abgetreten und die Augen verschlossen. Bei uns in der Branche hatten die Hersteller gute Angestellte, die jeweils in einem Fachberuf ausgebildet wurden. Die Outsourcing-Firmen hatten "Allrounder". Sprich: ungelernte Kräfte, die einen Handgriff ausführen können, denen der Beruf keine Berufung sondern einfach ein Job ist. Und das ist auch so gewollt. Dass aber diese ungelernten keine Ahnung von Qualität haben, das merkt man dann, wenn man so ein Endprodukt in die Hand bekommt. Da wird eben verarbeitet, was angeliefert wird. Klar, manchmal hatten wir auch mit Fachkräften Probleme. Aber - da hat man sich zusammengesetzt, eine Lösung erarbeitet und gegenseitig gelernt. Sprich: Vorteile für beide Seiten und im Wettbewerb ein kleiner Vorsprung durch Wissen und höhere Qualität. Was nützt mir das Wissen, wenn ich ein Gegenüber habe, welches keine Ahnung hat, wovon ich spreche? Laufrichtung? Was ist das? Egal - die Pappe wird aufgeschossen. Aus dem Vollen geschöpft, weil Formatware günstiger ist als ein Zuschnitt. Dass aber dafür Arbeitszeit aufgewendet wird, Materialabfall in beträchtlicher Menge anfällt und auch Werkzeuge gebraucht werden - das wird einfach verdrängt. Denn der Arbeiter bekommt so wenig, dass sich das rentiert.

      Einen festen Ansprechpartner in einer Polsterei? Da gibt es einen Meister für 120 Angestellte. Einer unserer Kunden hatte einen deutschen Meister, der damals polnisch sprechen konnte. Grund: Ausschließlich polnische Angestellte. Über eine polnische Firma angestellt und dort auch versichert. Oder so. Wie soll ich so einem Menschen erklären, auf was er achten muss, um die Qualität, die wir liefern auch weiterzugeben? Keine Chance.

      Made in Germany? Was nützt mir das, wenn die Ware fast komplett im Ausland vorproduziert wird und hier nur noch das "Finish" geleistet wird. Mit dem Aufdruck "Made in Germany". Made ist in meinen Augen dann eher auf das Tierreich bezogen und als Schmarotzer zu sehen anstatt als Gütesiegel.
      Gruß
      Holger

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  6. Ich denke der Frust sitzt berechtigt tief, denn es ist nicht mehr so, wie wir uns vorstellen, dass es sein sollte.

    Mit dem Abstand der inzwischen vergangenen paar Jahre weißt Du inzwischen selber längst, dass Du da keinen kapitalen Bock geschossen hast - Du hattest eben nur das Pech keine web-2.0-klickibunti-Firma übernehmen zu können, sondern eine aus einer alten Branche, die mit ihren ganz eigenen Problemen kämpfen musste - und vermutlich schon vor Deinem Start in schwerem Fahrwasser war, nur dass man das vorher geflissentlich ignorieren konnte.

    In gewisser Hinsicht hast Du sogar Glück gehabt, auch wenn Du es Dir so sicher nicht ausgesucht hättest: Du kannst Dich jetzt wenigstens noch drüber ärgern - womöglich würdest Du Dir ohne die selbstbestimmte (aber früher oder später vermutlich ohnehin unausweichliche) Schließung längst die Radieschen von unten anschauen.

    Das Ergebnis wäre dann zwar das gleiche bezogen auf die Firma, aber der Unterschied für Dich wäre enorm, das solltest Du nicht vergessen ;-)

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  7. Hallo castagiro. Unser Hauptproblem war, dass wir uns in knapp 80 Jahren zu einem hochspezialisierten Betrieb entwickelt hatten. Mit eben einer in Deutschland nur sehr begrenzten Kundenzahl. Wir hatten zwar keine High-Tech im Einsatz, eher rustikale Dinge. Nicht, dass wir nicht auch einen Laserschneider probiert hätten, aber, das war einfach nicht umsetzbar. Und schon gar nicht zu vernünftigen Preisen. Aber wir hatten ein Wissen angeeignet, welches auch bei unseren Mitbewerbers eben gewachsen und auf die Bedürfnisse der Kunden abgestellt war. Qualität ging über Alles. Bis dann eben dieses Outsourcing ohne Wert auf Qualität sondern mit Blick auf die Preise stattfand. Ich habe ja auch mal die Berstdrücke angesprochen. Das ist -vereinfacht gesprochen- die Widerstandskraft einer Pappe. Diese ist hauptsächlich im Möbelstück, um Halt und auch Form zu geben. So, wie manchmal in Fahrzeugen auch Scheiben durchaus stabilisierend und tragend sind. Wenn ich dann aber eine zu weiche Pappe einsetze, so hat diese erst einmal die gleiche Aufgabe erfüllt. Aber die Ermüdung wird schnell auftreten, das Möbel instabil und im Extremfall wird die Form einfallen. Wir hatten einmal den Fall, dass uns eine Reklamation von über 100 Rückläufern untergeschoben werden sollte. Geöffnet war das ganze Ausmaß zu sehen: Pappe von einem ausländischen Zulieferer, der einfach die Stärke, aber nicht die Qualität eingehalten hatte. Hätten wir so etwas angeliefert - die Ware wäre an uns zurück gegangen. Der Kunde hat daraus übrigens nichts gelernt, den Handel mit diesem Zulieferer sogar noch ausgedehnt. Dieser hatte teilweise auch Rohware von uns bezogen, aber nur für einen Kunden eingesetzt, der sehr auf diese Qualität geachtet hat. Und auch heute noch am Markt Bestand hat. Der Zulieferer aus Tschechien ging dann im Verlauf der Jahre auch in Insolvenz, als die Mitarbeiter dann endlich Löhne ähnlich der Arbeiter im Westen gefordert hatten. Spätestens da hätte jedem klar sein müssen, dass billiger liefern nur über die Qualität ging.

    Ja, das Fahrwasser war unruhig bei der Übergabe. 01.01.2001 war es soweit. Die Geschäfte liefen recht gut, auch im angeschlossenen Laden ging es aufwärts, nicht zuletzt, weil ich auch gleich investiert hatte in einen kleinen Umbau. Tja, bis dann im Herbst die Flugzeuge einen ordentlichen Einbruch verursachten. Eben, weil unsere Kunden viel Ware exportierten, auch in die USA: Davon erholt hatte sich das Ganze erst spät - als es dann 2006/2007 in die Wirtschaftskrise ging. Und 2008 war dann eben das Jahr der Entscheidung.

    Ja, Du hast recht, hätte ich die Firma weiter betrieben, hätte ich wohl alles bis hin zum Leben verloren. Das kann ich nicht beschönigen. Für mich war das eine harte, aber notwendige Entscheidung.

    Übrigens, die Firma, die ja angeblich Insolvenz nach den Gerüchten angemeldet hat, die habe ich noch immer. Zwar stillgelegt, aber es ist meine. Vielleicht mache ich mal was draus. ;-)

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  8. Chapeau !
    Danke für diesen Post.
    Ich selber habe mit diesem Metier überhaupt nix zu tun, aber ich bin als "Endkunde" der Meinung, dass uns diese ganze "Geiz-ist-geil-Mentalität" nur schadet.
    Ich bin schon lange dazu übergegangen mir die Dinge zu leisten, die ich mir in der Qualität, die ich haben möchte, auch leisten kann.
    Lieber ne Bananenkiste als einen Ramschsessel....
    Lieber weniger auf dem Wochenmarkt als viel Müll aus dem Discounter...
    Lieber ein altes Auto als ein Ersatz-Penis....etc.

    Ich finde, du hast bewundernswert richtig und aufrichtig gehandelt.

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    1. Tja, mehr Leute sollten so handeln wie Du! Mein Respekt!
      Bewunderswert? Eher nicht, ich habe immer nur versucht, möglichst den Schaden von Dritten abzuwenden, weil die ja nichts für meine Lage konnten. Und so hat sich quasi von ganz alleine Eines zum Anderen gefügt. Von mir kam nur der Wille durchzuhalten und den Menschen, die mich schon komplett abgeschrieben hatten, zu zeigen, dass ich es schaffen kann.

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  9. Danke für diesen Post und den Einblick! Beim Lesen stiegen mir gleich wieder die Erinnerungen an meine Ausbildungszeit auf - damals passierte der oberfränkischen Textilindustrie in etwa das Gleiche: In Osteuropa ließ es billiger produzieren und einkaufen, Qualität war nicht mehr das Stichwort. Und Arbeitsplätze? Who cares? Der Preis musste ultimativ niedrig sein, etwas anderes zählte nicht.
    Ich war froh, dass ich diesen Untergang nicht mehr live und vor Ort miterleben musste.
    Wann und wie hat dieses Billigdenken in den Köpfen der Verbraucher eigentlich angefangen?

    Lieben Gruß von einer stillen Mitleserin.

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    1. Hallo stille Mitleserin. Na, irgendwie sind die Branchen ja auch miteinander verwoben gewesen. 2012 bin ich zuletzt an den Spinnereien in unserer Region vorbei gefahren. Also an dem, was von übrig ist. Meist nicht mal mehr Ruinen. Wahnsinn, wie da eigentlich ohne zwingende Not und oft nur aus Gewinnsucht heraus die Schicksale vieler Familien zum Unguten gewendet wurden.
      Angefangen? Ich glaube, in der Stoffbranche eher als dann bei den Möblern. Oder zumindest dann gleichzeitig. Die Webereien waren ja auch zum guten Teil Zulieferer wie wir. Was solls. Ich ägere mich eben weiter über die Couch mit einem Mikrofaserbezug, der keine Jeans mag und auch sonst der letzte Mist.
      Gruß
      Holger

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