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Die lebende Leiche

Gestern war wieder einmal Besuchstag bei meinem Vater. Ein paar Dinge waren zu klären, unter anderem auch, warum er trotz der Einstufung in die Pflegestufe 3 kaum Aufmerksamkeit bekommt. Wir wollen doch nicht, dass sich jemand neben ihn setzt und ihm die Hand hält oder aus einem Buch vorliest. Obwohl das schon schön wäre, wissen wir, dass das utopisch ist. Einer der Gründe für die nur nötigste Pflege ist, dass die Krankenkasse eben nicht mehr bezahlt. Ein schlichtes Rechenexempel, welches uns nicht mehr traurig oder wütend macht, wir haben resigniert, der Mensch ab 70 ist nur noch ein Posten. Für die Menschen in der Krankenkassenverwaltung, immer mehr auch für die Leute in der Pflege. Für uns aber bleibt er der Vater, der Mann, der Ernährer. Ein Mensch, der uns noch immer nahe steht. Kollision der Interessen, aber ohne Lobby für die schwächerei Partei in der Politik.

So hart es klingt, es geht ihm im Krankenhaus körperlich besser als im Heim. Er wirkt wacher, bekommt mehr von der Umgebung mit und - er bekommt Aufmerksamkeit. Nicht nach Plan, sondern dann, wenn er Pflege braucht. Hier ist etwas besonders im Argen. Warum wird vorsorgend im Krankenhaus mehr getan, die Menschen nach Terminplaner in den Heimen kaputtgepflegt?

Die ersten Tage nach dem Krankenhaus waren die Medikamente besonders gut auf ihn abgestimmt. Er hat von sich aus nach Angehörigen gefragt, zwar nur einzelne Worte, aber dies ist schon viel mehr als vor kurzer Zeit. Marlies? Udo? Marga? Nicole? Mich, meine Mutter und meine Tante hat er scheinbar erkannt. Ich denke sogar, ein kleines Lächeln gesehen zu haben. Was, wenn er doch noch mehr mitbekommt, als wir denken? Ist es nur eine Reaktion wie bei einem Säugling? Wir haben ihm nicht erzählt, dass Leute, die er sehen möchte, nicht mehr zur Familie gehören wollen. Wir sagen ihm, dass die in der Arbeit sind. Und ich habe dabei ein schlechtes Gefühl in der Magengegend.

Das Zittern und die unruhigen Bewegungen haben sehr zugenommen, keine Sekunde ist er mehr ruhig. Die Augen sind auf, schweifen aber von einer Sekunde zur anderen von uns ab und blicken in die Ferne. Das Röcheln setzt wieder ein, wir rufen eine Schwester, die den Schleim im Hals absaugen kann. Er wehrt sich nicht einmal, keinerlei Reaktion. Hat er sich in das Schicksal ergeben oder weiß er einfach nicht mehr, wie man sich wehrt?

Die Stationsleitung nennt uns den neuen Gewichtswert. Er ist nun noch dünner als es meine sehr schlanke Lebensgefährtin war. Viel dünner. Und das bei fast 15 cm mehr Körpergröße. Die Füße sind eiskalt, auch die Hände. Und trotzdem schwitzt der restliche Körper. Hände und Füße bewegt er nicht, die sind entsprechend schlecht durchblutet. Mit Massagen versuchen wir dies etwas zu lindern. Der Pflegeplan sieht dafür keine Zeit vor.

In dieser Woche hat er zwei Teelöffel voll mit Wackelpudding gegessen. Auch wenn er ihn früher gehasst hat, so kann ich mir nun gut vorstellen, dass er über jeden anderen Geschmack im Mund froh ist. Wenn er es mitbekommt. Und zuordnen kann. Wir trauen uns aber nicht mehr, den Mann mit einer leichten Speise zu füttern. Den Mann, der erst kürzlich mit riesigem Appetit alles verschlungen hat, was man ihm hingestellt hat. Obst, Schokolade, Kekse, Küchen, Wurst - einfach alles. Mit Lust und Freude, dazu ein alkoholfreies Bier. Und nun? Magensonde. Seine geliebten Steaks mit Kräuterbutter? Ich würde für ihn sogar die Ex anrufen und um die Zubereitung bitten, wüsste ich, dass er es schlucken kann. Und wenn es nur noch einmal wäre, dass ich ihm diesen Dienst geben kann. Für den Mann. Nicht den Vater, der ist schon lange gegangen.

Ich muss oft daran denken, dass wir in den letzten Wochen, in denen er bei uns war, viele Dinge besprochen haben; die wir noch zusammen machen wollten. Um den Goldbergsee laufen, wenn das Wetter schön ist. Auf den Goldisthalspeicher wandern. Einen Tagesausflug nach Tschechien. Und die Bamberger Innenstadt wollte er noch einmal sehen. Einfache Dinge, keine großen Sachen. Und wir hätten sie gleich erledigen sollen, nicht auf das nächste Jahr verschieben. Das nächste Jahr war er schon nicht mehr er selbst. Entweder rasend ohne Medikamente oder im Tranzustand mit Sedativa.

Hier liegt er, knapp über 50 kg schwer, fast unfähig, sich zu bewegen. Mehr als die Hälfte seines Gewichtes hat er nun schon verloren. Traurig? Bin ich nicht mehr. Ich habe sowieso keine Tränen mehr und es bringt ihn auch nicht zurück. Ich kann nur still dastehen und ihn anstarren. Und hoffen. Aber was? Zurück in das Leben kommt er nicht mehr. Vielleicht, dass er den Zustand, in dem er sich befindet, wirklich nicht mehr mitbekommt? Oder auf Erlösung? Ein bisschen bin ich wütend auf ihn, dass er uns das antut. Irrational, ich weiß. Aber auf wen soll ich sonst wütend sein? Vielleicht noch auf uns, weil wir der Magensonde zugestimmt haben.

In der nächsten Woche wird er verlegt. Er kommt von der beschützenden Staion auf eine "normale" Station. Weglaufen kann er nun nicht mehr. Nicht einmal im Rollstuhl könnte er sich bewegen. Nicht einmal im Bett aufsetzen. Bis zum nächsten Besuch, ich muss in meine Welt zurückkehren.

Kommentare

  1. Die Umarmung gebe ich weiter, er hat sie viel nötiger. Danke!

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  2. Hallo,
    hm, ... leider ist es so, das für jede Pflegemaßnahme nur einige Minuten vorgesehen werden - rein rechnerisch - die in der realen Pflegewelt natürlich nie und nimmer ausreichen. Und danach, wird dann auch der Personalschlüßel etc. errechnet. Ich weiß es hilft Dir grad nicht weiter, aber Du kannst davon ausgehen, das wir Pflegenden, uns natürlich viel mehr Zeit, für die Pat./Bewohner nehmen würden, hätten wir denn welche.
    Ich weiß jetzt nicht mehr genau, er hat eine PEG-Sonde?! ... vielleicht kannst Du ihm ja mal ein Kausäckchen anbieten?! Frage einfach mal die Pflegekräfte dort, wo Dein Papa ist, das sie Dir eines machen, mit dem, was Dein Papa gerne mag (das bringst Du eben mit).

    Ich drück` Dich auch mal aufmunternd!

    LG,
    Pupe

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  3. Das ist schön ..so wollte ich es auch erst sagen ..hab mich dann aber nicht getraut weil ich dachte ist vieleicht zu persönlich für Dich! Dann Drück deinen Daddy ganz fest von mir , streichel seine Hand und schick ihm einen lieben Gedanken von mir!

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  4. Pupe*s, der Fehler liegt im System. Die Pfleger sind genauso "arm dran" wie die Leute, die auf den Stationen liegen. Dem Personal kann ich keinen Vorwurf machen, eher im Gegenteil. In dieser Woche erst wurde mir erzählt, dass mehr Zeit für das dokumentieren der Pflegemaßnahmen drauf geht als für die Pflege selbst. Ordnung schön und gut, aber das geht doch dann zu weit. Das Kausäckchen haben wir schon angeregt. Das klappt nicht, weil er nicht mehr kaut. Maximal noch schluckt. Und das wäre fatal.

    Paderkroete, ich mach das gerne. Ich sag ihm auch, dass der eine Drücker von Dir ist. Das mach ich, wenn ich mal alleine dort bin, nicht dass meine Mutter noch auf dumme Gedanken kommt. ;-)

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  5. Löffel ...tu das .. in einer stillen Minute ..das ist sowieso am "schönsten" dann! Und dich drück ich trotzdem auch ....(deine Mutter liest hier ja nicht mit oder? *grins* )

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  6. Mach ich. Ne, meine Mutter hat im Leben noch keinen Computer auch nur angefasst.

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  7. Ich drück auch... Mir fehlen ansonsten die Worte. Da möchte man doch den Verantwortlichen dasselbe wünschen.

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