Der Tag, an dem meine Oma geboren wurde. Sie hatte ja bekanntlich die 100 Jahre geknackt, war dann aber leider recht bald verstorben.
Heute war es an der Zeit, am 101. Geburtstag haben wir uns an der Urnenwand versammelt. Sehr andächtig war war es nicht, gibt es eigentlich nur eine Bronzeplatte mit dem Namen und den essentiellen Daten zu sehen: Anfang und Ende. Wie viel dazwischen liegen kann, was einen Menschen ausmacht, kann anhand der schlichten Endlagerung niemand sehen.
Geboren 1910 in Berlin Tempelhof ist meine Oma recht behütet aufgewachsen, eine Kinderfrau schien die Erziehung übernommen zu haben. Genaues weiß man nicht, denn die Zeit vor dem Ende des zweiten Weltkrieges war immer tabu. Erst vor wenigen Jahren haben wir erfahren, dass die Oma schon ein zweites Mal verheiratet war. Nachforschungen machen wenig Sinn, denn Müller und Schmidt kommen in Berlin zuhauf vor. Zudem sind viele Daten im zweiten Weltkrieg Raub der Flammen und Zerstörung geworden.
Als einzig gesichert gilt eigentlich nur, dass meine Oma eine etwas höhere Schulbildung hatte. Aber da endet es auch schon. Lehrberuf? Arbeitsstelle? Fehlanzeige. Einzig ein Bild aus der Zeit um 1930 herum existiert, welches meine Oma in einem Vierer-Ruderboot zeigt, "Carpe Diem" genannt. Ende der 1930er Jahre erfolgte die Flucht aus Berlin, über das heutige polnische Staatsgebiet (dort wurde 1943 meine Tante geboren) bis nach Coburg. Genauer in den Vorort Finkenau. Dort wurde mit bis zu 10 Personen ein einfaches Holzhaus bewohnt, welches noch heute steht. Genutzt wird dieses als Gartenhaus, wohnen würde da niemand mehr wollen. Heute gibt es da auch Strom und Wasser, das kleine Anwesen wirkt sehr gepflegt. Ein Zutritt ist aber nicht möglich, da die Besitzer weit weit weit weg wohnen.
Ihr zweiter Mann, der Fritz, hat in Coburg in der FDP nach dem Krieg gearbeitet. Zu einer Zeit, als es der Partei noch gut ging. 1968 ist auch er verstorben, nach einem Herzinfarkt war das Leben noch vor dem Erreichen des Lebensherbstes zu Ende. Meine Oma hatte vor dieser Zeit in der HUK Coburg teilzeit als Schreibkraft gearbeitet, ab Mitte der 1960 Jahre dann nicht mehr.
Meine Eltern sind irgendwann Ende der 60er Jahre zu Ihr gezogen, eine geräumige und billige Wohnung war für ein Paar schwer zu bekommen, noch schwerer zu bezahlen. Bis in das Jahr 1973 haben wir da gewohnt, sind dann erst direkt nach Coburg Innenstadt gezogen. Aufgegeben hat sie die Wohnung nicht, die Rente vom Opa und auch ihre kleine eigene Rente hat gereicht.
Und dann war es auch Zeit, dass die drei Töchter die Anekdoten zum besten gaben. Meine Oma war schon immer eher eine sehr eigene Figur in der Geschichte, es kam durchaus auch vor, dass sie eine Woche verschwunden war. In Zeiten, als es weder weit verbreitet Telefon geschweige denn Handys gab, war die Suche schon einiges aufwändiger als heutzutage. Nach einer Woche kam dann ein Telegram aus Huglfing, dass sie bitte zu einer bestimmten Zeit am Bahnhof in Coburg abgeholt werden wolle. So war meine Oma.
Außer der verpflichtenden Rentenversicherung hat sie nie eine Haftpflicht besessen. Oder gar eine Lebensversicherung. Sie hat irgendwann eimal gesagt, dass sie im Krieg zweimal alles verloren haben und das Leben trotzdem weiter ging. Irgendwo hat sie Recht. Und alt und glücklich war sie trotzdem.
Meine Erinnerungen an meine Oma sind eher spärlich. Ich weiß nur, dass sie gerne im Tchibo am Markt den täglichen Kaffee zu sich genommen hat, dann mit dem Bus wieder nach Hause fuhr. Oder zu uns, um Mittagessen einzunehmen. Gekocht hat meine Oma eigentlich nie. Wenn sie uns mal Essen versprochen hat, dann kam in der Regel eine Tüte von der Nordsee auf den Tisch, Inhalt waren zwei Fischfrikadellen und ein Kartoffelsalat mit klarem Dressing. Und über dem Kartoffelsalat einen Klecks Ketchup. Das werde ich wohl nie vergessen.
Ihre Liebe galt der Berliner Weiße. Mit Waldmeistersirup. Als Kinder durften wir - wenn sie einmal zum aufpassen kam - nippen. Sogar wir Kinder mochten dies, war doch das "Bier" schon süßlich und der Zusatz von Sirup im Verhältnis von vermutet 1:1 hat den Rest getan. Eine weitere Vorliebe war das ansehen der Sportschau. Und von Fußball. Und Leichtathletik. Und überhaupt allem, was mit Sport zu tun hatte. Dies hat sie auch bis zu den letzten Tagen beibehalten. Wir fanden das nicht so prickelnd, denn, wenn die Eltern schon mal außer Haus sind, dann war unser Ziel nicht, Sport zu sehen. Was solls....
Kinder wünschen sich eigentlich eine Oma, die sie mal in den Arm nimmt, Kekse backt oder einfach eine Oma ist. Irgendwie war da immer eine Distanz zwischen uns und der Oma. Auch bei unseren Cousins und Cousinen war das nicht anders.
So gesehen, von den über 100 Lebensjahren ist traurigerweise nicht viel übrig geblieben, an das man sich gerne zurückerinnert. Und zu Lebzeiten hat man nichts erfahren, weil die Oma nicht über "Privates" sprechen wollte. Jetzt ist es zu spät
Heute war es an der Zeit, am 101. Geburtstag haben wir uns an der Urnenwand versammelt. Sehr andächtig war war es nicht, gibt es eigentlich nur eine Bronzeplatte mit dem Namen und den essentiellen Daten zu sehen: Anfang und Ende. Wie viel dazwischen liegen kann, was einen Menschen ausmacht, kann anhand der schlichten Endlagerung niemand sehen.
Geboren 1910 in Berlin Tempelhof ist meine Oma recht behütet aufgewachsen, eine Kinderfrau schien die Erziehung übernommen zu haben. Genaues weiß man nicht, denn die Zeit vor dem Ende des zweiten Weltkrieges war immer tabu. Erst vor wenigen Jahren haben wir erfahren, dass die Oma schon ein zweites Mal verheiratet war. Nachforschungen machen wenig Sinn, denn Müller und Schmidt kommen in Berlin zuhauf vor. Zudem sind viele Daten im zweiten Weltkrieg Raub der Flammen und Zerstörung geworden.
Als einzig gesichert gilt eigentlich nur, dass meine Oma eine etwas höhere Schulbildung hatte. Aber da endet es auch schon. Lehrberuf? Arbeitsstelle? Fehlanzeige. Einzig ein Bild aus der Zeit um 1930 herum existiert, welches meine Oma in einem Vierer-Ruderboot zeigt, "Carpe Diem" genannt. Ende der 1930er Jahre erfolgte die Flucht aus Berlin, über das heutige polnische Staatsgebiet (dort wurde 1943 meine Tante geboren) bis nach Coburg. Genauer in den Vorort Finkenau. Dort wurde mit bis zu 10 Personen ein einfaches Holzhaus bewohnt, welches noch heute steht. Genutzt wird dieses als Gartenhaus, wohnen würde da niemand mehr wollen. Heute gibt es da auch Strom und Wasser, das kleine Anwesen wirkt sehr gepflegt. Ein Zutritt ist aber nicht möglich, da die Besitzer weit weit weit weg wohnen.
Ihr zweiter Mann, der Fritz, hat in Coburg in der FDP nach dem Krieg gearbeitet. Zu einer Zeit, als es der Partei noch gut ging. 1968 ist auch er verstorben, nach einem Herzinfarkt war das Leben noch vor dem Erreichen des Lebensherbstes zu Ende. Meine Oma hatte vor dieser Zeit in der HUK Coburg teilzeit als Schreibkraft gearbeitet, ab Mitte der 1960 Jahre dann nicht mehr.
Meine Eltern sind irgendwann Ende der 60er Jahre zu Ihr gezogen, eine geräumige und billige Wohnung war für ein Paar schwer zu bekommen, noch schwerer zu bezahlen. Bis in das Jahr 1973 haben wir da gewohnt, sind dann erst direkt nach Coburg Innenstadt gezogen. Aufgegeben hat sie die Wohnung nicht, die Rente vom Opa und auch ihre kleine eigene Rente hat gereicht.
Und dann war es auch Zeit, dass die drei Töchter die Anekdoten zum besten gaben. Meine Oma war schon immer eher eine sehr eigene Figur in der Geschichte, es kam durchaus auch vor, dass sie eine Woche verschwunden war. In Zeiten, als es weder weit verbreitet Telefon geschweige denn Handys gab, war die Suche schon einiges aufwändiger als heutzutage. Nach einer Woche kam dann ein Telegram aus Huglfing, dass sie bitte zu einer bestimmten Zeit am Bahnhof in Coburg abgeholt werden wolle. So war meine Oma.
Außer der verpflichtenden Rentenversicherung hat sie nie eine Haftpflicht besessen. Oder gar eine Lebensversicherung. Sie hat irgendwann eimal gesagt, dass sie im Krieg zweimal alles verloren haben und das Leben trotzdem weiter ging. Irgendwo hat sie Recht. Und alt und glücklich war sie trotzdem.
Meine Erinnerungen an meine Oma sind eher spärlich. Ich weiß nur, dass sie gerne im Tchibo am Markt den täglichen Kaffee zu sich genommen hat, dann mit dem Bus wieder nach Hause fuhr. Oder zu uns, um Mittagessen einzunehmen. Gekocht hat meine Oma eigentlich nie. Wenn sie uns mal Essen versprochen hat, dann kam in der Regel eine Tüte von der Nordsee auf den Tisch, Inhalt waren zwei Fischfrikadellen und ein Kartoffelsalat mit klarem Dressing. Und über dem Kartoffelsalat einen Klecks Ketchup. Das werde ich wohl nie vergessen.
Ihre Liebe galt der Berliner Weiße. Mit Waldmeistersirup. Als Kinder durften wir - wenn sie einmal zum aufpassen kam - nippen. Sogar wir Kinder mochten dies, war doch das "Bier" schon süßlich und der Zusatz von Sirup im Verhältnis von vermutet 1:1 hat den Rest getan. Eine weitere Vorliebe war das ansehen der Sportschau. Und von Fußball. Und Leichtathletik. Und überhaupt allem, was mit Sport zu tun hatte. Dies hat sie auch bis zu den letzten Tagen beibehalten. Wir fanden das nicht so prickelnd, denn, wenn die Eltern schon mal außer Haus sind, dann war unser Ziel nicht, Sport zu sehen. Was solls....
Kinder wünschen sich eigentlich eine Oma, die sie mal in den Arm nimmt, Kekse backt oder einfach eine Oma ist. Irgendwie war da immer eine Distanz zwischen uns und der Oma. Auch bei unseren Cousins und Cousinen war das nicht anders.
So gesehen, von den über 100 Lebensjahren ist traurigerweise nicht viel übrig geblieben, an das man sich gerne zurückerinnert. Und zu Lebzeiten hat man nichts erfahren, weil die Oma nicht über "Privates" sprechen wollte. Jetzt ist es zu spät
Ja, diese Generation hat es nicht leicht gehabt, ... :(
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