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Abenteuer Arbeitssuche

Wer sich bewirbt, der kann auch was erleben. Und das nicht zu knapp. Zuerst mal etwas zum Hintergrund.

Meine Schwester, 37 Jahre alt und eigentlich geistig wie körperlich fit, ist auf der Suche nach einem neuen Job. 2 ¾ Jahre lang war sie bei einer großen Versicherung vor Ort beschäftigt, dort für den Telefondienst und alles, was rund um den Neuantrag einer Krankenversicherung dazugehört, verantwortlich. Krankenstand gab es für sie nur einmal, als der Arm fast abgefallen war durch eine Überbeanspruchung durch das Telefonieren und der Nutzung der Computermaus.

War eine hohe Bereitschaft für Mehrarbeit, früheres Anfangen (unbezahlt!), Samstagsarbeit und sogar die teilweise Übernahme von Aufgaben der Gruppenleiterin (auch unbezahlt!) vorhanden, so wurde diese dann doch nicht honoriert. Trotz guter bis sehr guter Einzelbewertungen durch die jeweiligen Gruppenchefs wurden bei der Übernahme bzw. erneuten Vertragsverlängerung nur die Damen aus der Gruppe berücksichtigt, die aus dem gleichen Bundesland stammen wie sie selbst. Und die von meiner Schwester im normalen Tagesablauf ständig Hilfe benötigt haben. Tja, das Leben ist eben hart und ohne die richtigen Beziehungen geht nichts mehr.

Ein weiteres „Problem“ ist, dass die Entlohnung überdurchschnittlich gut war für unsere Region. Natürlich, auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, endgültig übernommen zu werden, wurde der Lebensstandard dem Lohn angepasst. Da wird es nun wohl wieder Anpassungen benötigen. So, dann erzählen wir mal die Erlebnisse der letzten drei Monate.

Natürlich ist meine Schwester bei der ARGE (früher mal Arbeitsamt) gemeldet. Mensch ist sie da nicht, nur eine Nummer. Was auch die Auswahl der Jobs beweist, die sie zugeteilt bekommt. Englisch hatte sie zuletzt im Abschlussjahr in der Schule, 1991. Somit ist das letzte gesprochene englische Wort zwanzig Jahre her. Gefordert wurde in einem Profil aber eine Verhandlungssicherheit in Englisch und Fehlerfreiheit in Wort und Schrift. Bewirbt sie sich nicht, gibt es Ärger mit der Sachbearbeiterin. Also, die Unterlagen erstellt, die Mappe gepackt und versendet. So entstehen je Bewerbung allein Materialkosten in Höhe von knapp über fünf Euro. Und das, obwohl man ja vorher schon weiß, dass das eine Absage gibt. Aber, der Wunsch der ARGE ist dem Bedürftigen Befehl.

Und dann gab es noch den Autohändler, welcher in der Region ziemlich breit geworden ist, alle möglichen Autohäuser übernimmt. Die Bekannte, welche wegen Mobbing dort gekündigt hat, hatte vorher den Job, auf den meine Schwester sich bewerben musste. Auch die geäußerten Bedenken waren der ARGE egal, auch, das meine Schwester keine Erfahrungen im Fahrzeugverkauf hat und Autos nur anhand der Farbe unterscheiden kann. Der Abschuss war aber, dass an drei Tagen Post vom Amt kam. Einmal sollte sie sich auf den Job in 70 km Entfernung bei der Zentrale bewerben. Dann hier in Coburg direkt am Arbeitsplatz und noch dazu in einer der Filialen im Landkreis. Wohlgemerkt: immer auf die selbe Stelle hin. Was an der Nummer der Stelle und dem Ansprechpartner zu ersehen war. Der Anruf bei der ARGE erbrachte: bitte an allen drei Stellen bewerben, diese werden intern weitergeleitet. Na, dafür kamen keine Unterlagen zurück und nur eine Absage. Hauptsache, das Geld für die von vornherein aussichtslosen Bewerbungen waren zum Fenster raus.

Und dann noch die Maler- und Putzerfirma im Landkreis. Die halten die Arbeitslosen scheinbar für komplett verblödet. Die Ausschreibung kam über die ARGE, hat sich gut gelesen, sogar das Profil war den Fähigkeiten meiner Schwester entsprechend. Also haben wir sogar neue Fotos machen lassen, besonderes Papier gekauft, eine noch schönere Bewerbung geschrieben und als Erfolg einen Vorstellungstermin bekommen. Gut zwei Stunden hat dieses Gespräch gedauert, man war sich scheinbar gegenseitig sympathisch und wollte drei Tage später von einander hören, ein Rückruf erfolgen. Nach zehn Tagen Schamfrist hat sich meine Schwester dann mal erkundigt, wie es denn weiter geht. Antwort: wir brauchen noch eine Woche, sie ist mit zwei weiteren Bewerberinnen in die engere Auswahl gekommen. Das klingt doch schon mal nicht so negativ. Eine Woche später schlagen wir die Tageszeitung auf, Samstags ist das Angebot an Arbeitsstellen besonders groß. Und was prangt da auf der 1/8-Seite? Eine Annonce der Firma, in der die Stelle mal wieder ausgeschrieben wird. Somit war also die Stelle eher wieder in der Zeitung, als meine Schwester eine Absage bekommen hat. Böses Erwachen. Am Montag darauf war dann diese Absage in der Post, mit der Begründung, dass man sich schon für eine andere Bewerberin entschieden habe und dieser den Vorzug gäbe.

Dann wird in der nächsten Zeit ein Callcenter in unserer Stadt errichtet werden, in dem die Kunden einer gerade neu gegründeten Firma aus dem Energiewesen betreut werden sollen. Dafür werden gut 100 neue Mitarbeiter gesucht. An drei Tagen gab es für eine Auswahl an Arbeitswilligen eine „Orientierungsveranstaltung“. Geleitet wurde die von einem Mitarbeiter der ARGE, der auf Nachfrage zwar drei Monate mit der Organisation beschäftigt war, aber kaum mehr sagen konnte, als die Folien hergaben. Ein großer Teil der Menschen, die an dieser Veranstaltung teilnahmen, waren vorher zu guten Konditionen bei der Eingangs erwähnten Versicherung beschäftigt. Die gleiche Arbeit würde nun auch bei der neuen Firma anfallen. Mit der Erwartung an flexibler Zeiteinteilung 24/7 und nicht extra honorierter Mehrarbeit sowie zu einem Lohn, der an eine Frechheit grenzt. Ein erwachsener Familienvater im Schichtdienst könnte so im günstigen Fall mit ungefähr 900 € netto, ein Abteilungsleiter mit 1100 – 1200 € netto rechnen. Aufstiegschancen: so gut wie keine. Wohlgemerkt für eine Arbeit, die in der Versicherung mit gut 1400 – 1500 € plus Zulagen und üppigem Urlaubsanspruch vergütet würde. Eingeladen wurden übrigens bevorzugt Arbeitssuchende, die vorher in dieser Versicherung tätig waren.

Bewandnis. Welche, konnte nicht erklärt werden. Die Bewerbung ist übrigens auch schon über vier Wochen raus, eine Antwort ist nicht eingetroffen. Muss ich erwähnen, dass hier eine Absage ausnahmsweise einmal nicht betrauert wird?

In der letzten Woche war wieder ein ARGE-Termin angesetzt, bei dem geprüft wird, ob sich der Arbeitslose auch genug bemüht. Nichts dagegen, muss auch so sein. Wenn es denn ernsthaft gehandhabt würde. Was bringt es dem Bewerber, wenn der Sachbearbeiter nur aus dem PC vorliest, was sowieso für jeden einsehbar ist? Der Sachbearbeiter war übrigens erstaunt, dass meine Schwester auch so viele Bewerbungen verschickt hat, ohne dass ein MUSS vom Amt vorlag. Und das „Ach, sie meinen das Ernst mit der Suche?“ könnte vielleicht auch etwas Frustration auslösen.

In diesem Gespräch wurde auch angeschnitten, dass der ehemalige Arbeitgeber meiner Schwester, die Suche nach gut 30 – 50 neuen Mitarbeitern hereingegeben hat. Die Anforderung hätte hervorragend auf die Fähigkeiten meiner Schwester gepasst – wäre da nicht eine Einschränkung: Keine Bewerber senden, die schon einmal dort gearbeitet haben. So viel zum Thema „wer eine Arbeit sucht, der bekommt auch eine“. Morgen hat sie ein Vorstellungsgespräch bei McDonalds für einen 400 Euro-Job. Da bleiben ja auch immerhin 165 Euro von übrig, die die ARGE nicht wegkürzt.

Wenn also jemand einen Job im Coburger Raum hat, bevorzugt für eine Kauffrau im Groß- und Außenhandel oder ähnliches, der möge mir das bitte per Kommentarfunktion mitteilen.





MilD

Kommentare

  1. Mann, wie frustrierend... Mehr fällt mir dazu nicht ein, da ich selber in dem Thema drin war und auch bald wieder sein werde, weil mein Vertrag am 31.08. ausläuft. Übernahme ungewiss...

    LG

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