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Mandarinman alias ich war dein Vater...

Heute ging es mir mal wieder besser, sodass ich einen Ausflug gewagt habe. Kurze Fahrt, nur nach Kutzenberg, in dessen Seniorenheim ja mein Vater untergebracht ist. Länger war ich nicht mehr dort, mein Gewissen hat schon arg protestiert, die unterschwelligen Schuldzuweisungen meiner Mutter haben den Rest getan. Aber, wenn es nicht geht, geht es halt nicht. Freiwillig war das nicht. Aber, mein Vater ist gut untergebracht, hat spätestens alle zwei Tage Besuch. So wird er mich wohl nicht vermisst haben.

Von ehemals knapp 110 kg Kampfgewicht (war ja mal Fußballer und auch Boxer) hat er noch 80 kg Knochen und Haut über. So war es nicht allzu schwer zu entscheiden, was das Mitbringesel werden sollte. McDonalds hat er früher sehr selten, aber dann doch ganz gerne gegessen. Lichtenfels hat ja so eine Filiale. Dumm nur, dass ich früh weder Apfeltaschen noch Pommes bekomme, das war neben demBigMäc das, was er gegessen hat. Also, eine Bildzeitung und zwei McCroissants. Umgerechnet knapp 10 Euro habe ich also für minderwertige INFOS und zwei labberige Hörnchen mit Käsemasse und zähem Kochschinken ausgegeben. Was solls...

Angekommen im Wohnheim war ich eigentlich auf das Schlimmste vorbereitet. Nach den Erzählungen meiner Mutter müsste mein Vater wohl wie ein später Stan Laurel aussehen, zumindest figurtechnisch. Vor mir stand dann ein 70jähriger Mann, mit guter Figur, gepflegter Eindruck. OK, die Krankheit sieht man ihm an, aber das wissen wir.

Kurze Händeschütteln, ich habe mich vorgestellt, als Sohn und mit Namen. Ergebnis: große Augen, Abkehr zum Ausguss und dort hat er versucht, ein Papier durch den Schmutzfang zu drücken. Nach langer Zeit hat es dann auch geklappt.

Zurück auf dem Zimmer erwartet mich eine Bullenhitze. Auslöser der Zimmersahara war wohl der Mitbewohner, der im Klo den Zusatzheizer auf vollen Touren hat laufen lassen. Ausgeschaltet, Tür auf, klappt. Zwischenzeitlich hat mein Vater fast nichts gesagt, nur gebrummt. Immer wieder ein Ton, am Stück und ausdauernd. Wie eine Katze. Wie soll ich das einordnen? Missfällt ihm etwas? Ist das ein neuer Tic? Gut eine Minute hat er gebraucht, um sich in seinem Sessel nieder zu lassen. Von den filigranen Bewegungen früher ist nichts übrig, nur ein in der Bewegung unsicherer Mensch.

Als wir dann beide am Tisch sitzen, gebe ich ihm die Zeitung. Will er nicht. Stattdessen wird die Mandarine auf die Seite gelegt, ein Apfel geschnappt. Mehrere Minuten gehört dem Stiel die ganze Aufmerksamkeit, bis er die Lust verliert und diesen zurück in den Korb legt. Ich biete ihm das erste der Croissants an. Öffne die Packung, lasse den Geruch verströmen, um so den Appetit anzuregen. Will er auch nicht. Also, zurück in die Tüte, ich mag das ja auch nicht essen, ist absolut nicht mein Ding, was es bei McD zur Frühstückszeit gibt. Vorsichtig versuche ich ein Gespräch, gebe so die eine oder andere Information aus der Familie, übermittle die Grüße, die mir aufgetragen wurden. Und ernste sogar manchmal ein Lächeln zwischen dem Brummen.

Nach und nach wird das Brummen zu einer kleinen Melodie. Erst ziemlich unklar, dann deutlich. Hm hm hm hmmmm hm hm...... Woher nur kenne ich die Melodie? Altes Liedgut? Schlager der 70er? Auf der Heimfahrt fällt es mir dann ein.

Nächstes Opfer ist eine Banane, die komplett gestrippt wird. Nackt, der Fruchtfäden zusätzlich beraubt teilt er mir mit: "schmeckt nicht..." Gegessen wird trotzdem, gefolgt von einem klebrigen Süßriegel, ein Marsplagiat vom Aldi. Das hat er schon früher gemocht.

Die Zeitung und McD mag er dafür noch immer nicht. Versteh´ ich ja auch irgendwo.

Jetzt ist wieder die Mandarine an der Reihe, die er geschält aus dem Aufenthaltsraum mitgebracht hat. Durch die trockene und warme Luft konnte man fast zusehen, wie diese verdürrt. Die Spalten fallen ab und er versucht, die Mandarine wieder zusammen zu bauen. Mit erst recht gutem Erfolg, je länger er daran arbeitet, desto mehr Einzelteile hat er in der Hand. Eine gute viertel Stunde schaue ich so zu, empfehle dann das Essen der Frucht. Das war falsch, denn er legt die Mandarine nun auf die Zeitung und verlässt den Raum ohne Worte. Nach fünf Minuten schaue ich nach, er läuft unermüdlich über den Flur. Für mich das Zeichen zum Abschied.

Kurze Zeit später, zurück im Auto und auf der A73 fällt es mir dann ein. "Weil ich der Röhrich bin....." Genau, das war die Melodie, die er gesummt hat. Aber wie um Alles in der Welt hat mein Vater sich eine kleine Melodie aus einem Werner-Film eingeprägt? Wunder geschehen dann doch immer wieder mal....

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